Bilz-Stiftung

Bilz-Preis 2022

Bilz-Preisverleihung am 08. Dezember 2022

Preisträger

Begegnungszentrums Porz der Synagogengemeinde Köln

Laudator

Aron Schuster

Presse und Bilder

Begrüßungsrede von Fritz Bilz

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte Sie im Namen der Bilz-Stiftung zur diesjährigen Verleihung des Bilz-Preises ganz herzlich begrüßen. Besonders begrüßen möchte ich unseren Laudator, Herrn Aron Schuster, Direktor der Zentralwohlfahrtstelle der Juden in Deutschland, sowie stellvertretend für die Preisträgerin die Geschäftsführerin der Integrationsagentur des Begegnungszentrums Porz der Synagogengemeinde Köln, Frau Natalia Toepfer und den gerade neu bestellten Direktor des NS-Dokumentationszentrums Köln, Herrn Dr. Henning Borggräfe.

Zu Beginn meines Vortrags möchte ich ein Zitat der früheren langjährigen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Frau Charlotte Knobloch stellen. Es stammt aus einem Interview, das sie am 20. Oktober dieses Jahres dem Stern gegeben hatte:

„Das Judentum darf sich nicht allein über den Holocaust definieren, nicht auf eine reine Opfergeschichte reduzieren.“

Die Geschichte der deutschen Jüdinnen und Juden ist sehr viel umfangreicher. Ihr jahrhundertelanger Einfluss auf unsere Kultur, unsere Wissenschaft und Gesellschaft ist so vielfältig und das wird sehr oft vergessen oder verdrängt. Manchmal werde ich das Gefühl nicht los, dass dies bewusst geschieht, um eine ganz wichtige Wurzel unserer Entwicklung über ein Jahrtausend abzuschneiden.

Ich möchte in der Musik Felix Mendelssohn-Bartholdy und Jaques Offenbach, in den Naturwissenschaften, Albert Einstein, Nils Bor und Lise Meitner, in der Gesellschaftsgeschichte Rosa Luxemburg und Ferdinand Lassalle und in der Soziologie Theodor Adorno, Max Horkheimer und Hubert Marcuse erwähnen.

Bis 1933 waren ein Drittel aller Nobelpreise an Deutsche an Juden verliehen worden. Deutlicher kann man ihren Einfluss auf unser Gemeinwesen nicht veranschaulichen. Um die Vielfalt wichtiger deutscher Jüdinnen und Juden über ein ganzes Jahrtausend umfassend darzustellen, reicht meine Redezeit bei weitem nicht aus.

Ich habe mich deshalb auf die beiden Felder Medizin und Gesellschaftsgeschichte konzentriert und möchte dabei aufzeigen, wie sehr unsere deutsche Gesellschaft durch Jüdinnen und Juden beeinflusst wurde und wir alle von deren Erkenntnissen, Erfindungen und Forschungsergebnissen profitieren.

Ich muss zugeben, ich selbst habe mir dies nicht so umfassend und bedeutend vorstellen können.

Schon im Frühen Mittelalter war das Wirken jüdischer Ärzte an den deutschen Fürstenhöfen bekannt. So waren die Leibärzte von Konrad dem Kahlen im 9. Jahrhundert, Kaiser Konrad

  1. im 11. Jahrhundert, von Friedrich dem II. im 15. Jahrhundert, von Kaiser Ferdinand I. im
  2. Jahrhundert berühmt. Die Herzöge von Berg (wonach das Bergische Land seinen Namen hat) hatten fast durchgehend jüdische Leibärzte.

In deutschen Klöstern gab es ab dem 14. Jahrhundert fast nur jüdische Ärzte, oft waren sie als Kommunalärzte abgestellt. Ab dem 15. Jahrhundert spezialisierten sich viele dieser Ärzte oft als Augen- oder Tierkundler. Ende des 16. Jahrhunderts gab es den weltbekannten Hamburger Arzt, den Juden Rodrigo de Castro. Er war Gynäkologe und Epidemiologe. Er beriet u. a. den König von Dänemark. Er verfasste die erste verständliche allgemeine Abhandlung über die

 

Pestbekämpfung. Er hatte auch als erster Arzt in Deutschland den Kaiserschnitt empfohlen und schrieb ein grundlegendes Werk zur Frauenheilkunde, das europaweit in mehreren Auflagen und Sprachen erschien.

Im 19. Jahrhundert erfuhren die Medizin und ihre Aufteilung in verschiedene Disziplinen einen großen Aufschwung unter maßgeblicher Beteiligung jüdischer Ärzte und Ärztinnen. Das lag auch daran, dass es für die deutschen Juden wichtig war, ihren Kindern eine gute Ausbildung zu vermitteln. Während Ende des 19. Jahrhunderts in Preußen nur acht Prozent der Kinder in weiterführende Schulen gingen – zumeist nur Jungen – lag der Anteil bei allen jüdischen Kindern bei 60 Prozent – und zwar bei Jungen und Mädchen.

Verstärkt strebten die Jüdinnen und Juden in akademische Berufe insbesondere Ärzte und Rechtsanwälte. So waren in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Viertel aller Ärzte und 15 Prozent der Anwälte Juden. An den medizinischen Fakultäten lag der Anteil jüdischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei 40 Prozent.

1901 erhielt der jüdische Bakteriologe Emil von Behring den Nobelpreis für Medizin für die Erfindung des Diphterieimpfstoffes.

1908 verlieh man dem Serologen und Arzneimittelforscher Paul Ehrlich den Nobelpreis für die Begründung der Chemotherapie. Außerdem entdeckte er nur ein Jahr später ein Heilmittel gegen Syphilis und die Afrikanische Schlafkrankheit.

1953 entwickelte der Jude Jonas Salk den Impfstoff gegen Kinderlähmung.

Ohne die wissenschaftlichen Erkenntnisse jüdischer Medizinerinnen und Mediziner hätten viele Menschen nicht überlebt.

Das zweite Gebiet, das ich ansprechen möchte, ist die Gesellschaftsgeschichte in ihrer soziologischen, politischen und ökonomischen Prägung durch Jüdinnen und Juden.

Schon im Mittelalter war es den Juden wichtig, dass ihre Kinder schon früh hebräisch lesen und schreiben lernten, der Sprung zur lateinischen Schrift war dann viel leichter, während christliche Kinder bis ins 19. Jahrhundert – da wurde erst die Schulpflicht eingeführt – Analphabeten blieben. Gerne nutzten die Fürsten aber auch die Klöster diese Fähigkeiten für ihre Skriptorien.

Ein richtiger Schub der Geisteswissenschaften erfolgte durch die Aufklärung, die auch die jüdischen Gemeinden erfasste. Einer der Pioniere war Moses Mendelssohn, der von 1729 bis 1786 lebte. Er trug die Aufklärung – auf jüdisch Haskala, was übersetzt „mit Hilfe des

Verstandes aufklären“ heißt – zusammen mit seinem Freund Gottfried Ephraim Lessing in die europäische Gesellschaft, jeweils in die christliche und jüdische. Mendelssohn entwickelte sich zum führenden Philosophen Deutschlands. Nicht durch die göttliche Offenbarung, sondern allein durch die Vernunft gelangt man zur Aufklärung, so Mendelssohn.

Mendelssohns enge Verbindung mit Lessing und sein intensiver Briefwechsel mit Kant sorgten in den Diskussionen in Deutschland für die Herausstellung der Vernunft als Kriterium der Weltbetrachtung. So sprachen sich beide – Lessing und Mendelssohn – für die Trennung von Staat und Religion aus. Keine Religion hat Anspruch auf die absolute Wahrheit.

Lessing setzte Mendelssohn ein Denkmal in seinem Stück „Nathan der Weise“. Mendelssohn gewann sogar einen Preis der preußischen Akademie der Wissenschaften für eine philosophische Abhandlung. Die einstimmige Aufnahme in die preußische Akademie der Wissenschaften blockierte der preußische König.

Es waren Juden, die die liberale Bildungstradition pflegten und vorwärts brachten. Der aufgeklärte Liberalismus wurde durch die Juden als treibende Kraft weiterentwickelt.

Darauf konnte Hegel aufbauen.

 

Ab 1800 trafen sich in den ersten Salons Juden und Christen, Frauen und Männer, Adlige und Bürger, die sich über Politik, Literatur und Kunst unterhielten. Die Aufklärung war ihr inhaltliches Grundelement. Jüdinnen waren oft die Gastgeberinnen, so Henriette Herz und Rahel Varnhagen von Ense. Dort wurden u. a. die Hegelschen Ideen diskutiert.

Auf seinen Ideen aufbauend arbeiteten Juden als Neuhegelianer, wie Heinrich Heine, Karl Marx und Moses Hess. In der Frankfurter Nationalversammlung – ein Ergebnis der Revolution von 1848 – waren neun Juden vertreten. Auch wenn diese Revolution scheiterte, ihre Ideen wirkten weiter. Auch Juden und Jüdinnen trugen sie in fast alle Parteien weiter.

Eduard Lasker bei den Liberalen, Ferdinand Lassalle, Eduard Bernstein und Rosa Luxemburg bei den Sozialdemokraten.

Der bedeutendste Nationalökonom Franz Oppenheim sagte in den 1920er Jahren: „Ich bin Deutscher und darauf ebenso stolz, wie auf meine jüdische Abstammung. Ich bin glücklich, im Lande Kants und Goethes geboren und erzogen worden zu sein, ich spreche ihre Sprache, habe ihre Kultur, Wissenschaft und Philosophie in mich eingesogen.“

Juden haben an der demokratischen Verfassung der Weimarer Republik federführend mitgearbeitet.

Die deutsche moderne Soziologie wäre ohne jüdische Mitglieder undenkbar. Ich möchte erinnern an Theodor Adorno, Max Horkheimer und Herbert Marcuse. Ihre Ideen wirken bis heute nach.

Das moderne Deutschland wäre ohne das Zutun der Jüdinnen und Juden heute nicht denkbar.

Schließen möchte ich meinen Vortrag wieder mit einem Zitat, diesmal von Ernst Hardt aus dem Jahre 1932. Er war damals Intendant des WERAG, dem Vorläufer des WDR- Rundfunksenders hier in Köln:

„Ich würde als Deutscher … niemals Bedenken tragen, in einem deutschen Zeppelin zu fahren, obwohl Graf Zeppelin dem österreichischen Juden Schwarz zur Erbauung dieses Luftschiffes einen Teil der Konstruktionspläne abgekauft hat. Ich trüge auch keine Scheu, dem deutschen Rundfunk zu dienen, obwohl diese Erfindung doch im Wesentlichen auf den deutschen Juden Herz zurückginge. Am großen Ruhm der deutschen Wissenschaft nehme ich gerne teil, obwohl dieser Ruhm dem Genie des deutschen Juden Einstein zu verdanken ist. Meine Kinder werde ich bei Diphterie geruhig mit dem Serum der Exzellenz von Behring impfen lassen und ich gestehe offen, dass ich mich nicht ängstigen würde, mit dem von dem deutschen Juden Ehrlich entdeckten Salvarsan (Impfstoff gegen Syphilis und Schlafkrankheit) behandeln zu lassen. … Kurz, ich bin der Meinung, dass in Dingen des Geistes und der Seele der Mensch alles und die sogenannte Rasse nichts bedeutet.“

Urkundentext

Seit vielen Jahren betreibt die Integrationsagentur des Begegnungszentrums Porz der Synagogengemeinde Köln wichtige Antidiskriminierungsarbeit als Präventionsmaßnahme gegen Antisemitismus. Zu den vielfältigen Aktivitäten zählt auch die sozialraumorientierte Arbeit, um Migrantinnen und Migranten an die Angebote der sozialen Infrastruktur heranzuführen. Davon profitieren in letzter Zeit insbesondere Geflüchtete aus der Ukraine.

Ihnen bietet die Integrationsagentur soziale Beratung an und unterstützt sie bei Anträgen mit öffentlichen Ämtern, gibt ihnen Übersetzungshilfen und Einsteigerkurse in deutscher Sprache.

Die Integrationsagentur leistet damit einen herausragenden Beitrag im Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und für Völkerverständigung.

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