Bilz-Stiftung

Bilz-Preis 2007

Bilz-Preisverleihung am 18. Dezember 2007

Preisträger

Förderverein Kölner Flüchtlingsrat e.V.

Laudator

Jürgen Roters

Presse

Begrüßungsrede von Fritz Bilz

Sehr geehrte Damen und Herren,

heute wird der Förderverein Kölner Flüchtlingsrat mit dem Bilz-Preis 2007 ausgezeichnet. Die Existenz dieses Vereins weist auf eine Problematik hin, die aufgrund der Migration von Millionen Menschen weltweit jedes Land jede Stadt, jedes Dorf betreffen. Es geht um Menschen, die aus politischen, religiösen, wirtschaftlichen Gründen ihre Heimat verlassen müssen. Wie gehen wir mit diesen Menschen um?

Lassen sie mich einen Vergleich ziehen, in dem wir zwei Jahrzehnte zurück gehen. Was wurde in Deutschland quer durch alle Parteien diskutiert über das unveräußerliche Recht eines jeden Menschen auf Reisefreiheit. Damals war das den Menschen der DDR verwehrt. Aber wie tönten die Politiker, Presseorgane und Menschenrechtsorganisationen?

Jeder Mensch hat das unveräußerliche Recht überall hin zu reisen, in jedes Land seiner Wahl. Das gleiche Recht wurde auch für die Ausreise aus diesem Land und die Ansiedlung in einem anderen Land reklamiert. Jeder Mensch, so hieß das damals. Inzwischen wissen wir, damit waren nur die Deutschen gemeint oder die Menschen, die als Vorfahren einen Deutschen nachweisen konnten.

Heute möchten wieder Menschen ihr Land verlassen, weil sie unterdrückt werden oder sie und ihre Familie zu Hause verhungern. Für diese Menschen gilt nicht mehr dieses damals für Deutsche reklamierte Recht. Dieses vordem noch als unveräußerliches Menschenrecht bezeichnet tritt gegenüber der Vorstellung einer „Migrantengefahr“ zurück. Zuwanderung wird nun kriminalisiert, „Wirtschaftsflüchtlinge“ werden sie genannt, fast synonym mit Dieben, Betrügern und Einbrechern. Grenzen werden als Frontgebiete betrachtet und militarisiert, heute nicht mehr an Deutschlands, sondern am Rande Europas.

Die verständliche aber zumeist unbegründete Angst über die Ankunft fremder Menschen aus anderen Ländern und Kulturen wird politisch ausgenutzt. Publikationsorgane stillen die Sensationslust, indem sie Aufsehen erregende und negative Einzelvorkommnisse ausnutzen durch Dramatisierung und Verallgemeinerung. Unsägliches Beispiel ist die Expressaktion über „Klaukinder“ in Köln.

Die Migrationsproblematik wird als politischer Zündstoff genutzt, um durch Polarisierung auf Wahlergebnisse Einfluss zu nehmen. Ich erinnere nur an die Hessen-Kampagne über die „doppelte Staatsbürgerschaft“.

Allerhöchstens qualifizierten Migranten: Ingenieuren, Krankenschwestern, Ärzten gibt man ein Aufenthaltsrecht. Aber sie fehlen in den Heimatländern und verursachen dadurch volkswirtschaftliche Schäden, die die Situation im Heimatland noch verschlechtern. Allein 16.000 afrikanische Krankenschwestern und zehn Prozent aller afrikanischen Ärzte arbeiten in Europa. Inzwischen bricht das afrikanische Gesundheitswesen in den Ländern südlich der Sahara zusammen.

Gehen wir einmal in der Geschichte zurück. Die Menschheitsgeschichte war immer auch eine Wanderungsgeschichte. Schon immer verließen hungernde Menschen ihre Heimat und flohen dorthin, wo sie Brot erhofften. Dann hat Heimat keinen Wert mehr. Dies ist ein Naturgesetz. Keiner kann Menschen zwingen, in der Region zu bleiben, in der sie – aus welchen Gründen auch immer – verhungern würden. Das war im Altertum so, im Mittelalter und in der Neuzeit. Das wird immer so bleiben. Da helfen auch nicht die größten militärischen, politischen und repressiven Maßnahmen. Denn je restriktiver ein Land in seiner Zuwanderungspolitik ist, desto mehr sog. Illegale hat es innerhalb seiner Grenzen. Und sie sind notwendig. Die 11 Millionen sogenannter Illegaler in den USA – von 33 Millionen Migranten insgesamt – sind hochbegehrte billige Arbeitskräfte. Ohne sie wären die Landwirtschaft und der Dienstleistungssektor im Süden der USA längst zusammengebrochen. Diese Menschen erbringen einen hohen volkswirtschaftlichen Nutzen.

Dies zeigt auch die Geschichte. Über die Jahrhunderte bewirkten die Migranten viel Positives für die Entwicklung der Menschheit. Die Vereinigten Staaten, Australien, Neuseeland aber auch das frühe Germanien, das Euphrat-Gebiet und viele andere Regionen hätten ohne diese Migration nicht wirtschaftliche, kulturelle und politische Blüte erlangt. Der Prozess der globalen Wirtschaftsentwicklung wurde nur durch die Migration möglich, natürlich auch mit seinen negativen Auswirkungen.

Insgesamt, historisch betrachtet, hat die Migration einen positiven Beitrag zur Entwicklung der Staaten und Gemeinschaften geleistet. Migranten gehören oft zu den dynamischsten und unternehmerischsten Mitgliedern einer Gesellschaft. Beispiele in der Geschichte sind mannigfaltig vorhanden. Die Uhrenindustrie in Brandenburg und Sachsen wäre ohne Migranten nicht entstanden, die Montanindustrie im Ruhrgebiet ohne Migranten aus dem Osten nicht denkbar. Sie hatten und haben den Mut, sich über die Grenzen ihrer eigenen Gemeinschaft und ihres Landes zu wagen, um sich und ihren Kindern neue Perspektiven zu eröffnen.

Heute stärken die Rücküberweisungen von Migranten die Kaufkraft für die heimische Produktion. Sie verringert damit die Armut im Herkunftsland signifikant. Damit wir wissen, in welchen Dimensionen wir uns bewegen, ein paar Zahlen:
2004 überwiesen Migranten 450 Mrd. Dollar zurück in ihre Heimatländer. Dies ist oft die zweitwichtigste Quelle externer Gelder für Entwicklungsländer neben ausländischen Direktinvestitionen. Ihre Höhe beträgt das sechsfache der Entwicklungshilfe weltweit.
Da wir gerade über Zahlen reden, möchte ich ein paar nennen, denn dies verdeutlicht das gesamte Problem der heutigen Migration. Die neuesten Zahlen kennen wir aus dem Jahre 2005.

In dem Jahr gab es 200 Millionen Migranten, die länger als ein Jahr außerhalb ihres Heimatlandes verbrachten, das macht drei Prozent der Weltbevölkerung aus. 1970 gab es nur 82 Millionen. Sie teilen sich wie folgt auf:
– 56 Millionen in Europa westlich des Urals (7,7 Prozent der Bevölkerung),
– 50 Millionen in Asien (1,4 Prozent),
– 40 Millionen in Nordamerika (13 Prozent),
– 6 Millionen in Australien (19 Prozent).
Die Industrieländer mit dem höchsten Migrantenzahlen sind
– die USA mit 35 Millionen,
– die Russische Förderation mit 13 Millionen,
– Deutschland mit 7 Millionen und
– Die Ukraine mit 7 Millionen.

Neun Millionen Migranten in Europa haben irregulär internationale Grenzen überquert, das bedeutet für Deutschland rund 900.000 Menschen. Jährlich verdienen daran Schleuser 10 Mrd. Dollar. Diese international arbeitenden Banden kommen oft aus den entwickelten Industrieländern.

Noch nie war die Zahl der Migranten – ob regulär oder irregulär die Grenzen überquerend – so hoch wie heute. Woran liegt das? Nur wenn wir die Ursachen kennen, können wir auch etwas gegen die Massenflucht unternehmen. Dabei sind Hunger und Armut Hauptmotivation für das Verlassen der Heimatregion.

Historische Hintergründe sind Grenzziehungen der Kolonialmächte im 18. und 19. Jahrhundert, die regionale Versorgungsstränge zerstörten, Nomadentum verhinderten und Selbstversorgungssystem zugunsten eigener wirtschaftlicher, militärischer und politischer Interessen zerstörten.

Die hauptsächlich von den Industrienationen verursachte Klimakatastrophe durch die Emissionen macht sich insbesondere in den heißen Ländern bemerkbar. In Afrika lebten 2006 40 Prozent der Menschen in Gebieten, die von Austrocknung betroffen sind, in Asien 39 Prozent, in Süd- und Mittelamerika 30 Prozent. Im gleichen Jahr haben weltweit 142 Millionen unter Naturkatastrophen gelitten, hauptsächlich durch klimatische Veränderungen hervorgerufen. Das sind die Migranten der nächsten 20 Jahre.

Diese klimatischen Veränderungen führen zu einer Hungerkatastrophe ungeahnten Ausmaßes. Versetzen wir uns einmal in die Lage eines dort lebenden Familienvaters. Welche Instanz will mir als Vater verbieten, im Angesicht meiner verhungernden Kinder mein Land zu verlassen und in einem reicheren Land Geld zu verdienen, um meine Familie zu retten. Es gibt keine Instanz der Welt, die dieses moralische Recht hat.

Dabei sind heute dank agrarkultureller Fortschritte die Grundlagen ausreichend, um die ganze Welt zu ernähren. Aber es hungern mehr Menschen, als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit. Stattdessen diskutieren Industrieländer, wie Nahrungsmittel in Brennstoff für Autos und Heizungen umgewandelt werden können. Welche perverse Logik.

Verstärkt wird die Hungerkatastrophe noch durch eine unsägliche Handels- und Subventionspolitik. Die Agrarsubventionen der USA und Europäische Union besonders für Baumwolle, Zucker und Fleisch verbilligt diese Produkte so stark, dass sie dadurch billiger als die in den Entwicklungsländern hergestellte Produkte werden. So wird die heimische traditionelle Produktion zerstört.

Zwei Beispiel verdeutlichen dies:
Obwohl die Baumwollproduktion in den USA fast drei Mal so teuer ist wie z.B. in Bukano Faso, wurden die USA durch eine jährliche vier Millarden Dollar Subvention zum größten Baumwollexporteur der Welt. Sie zerstörten die Baumwollproduktion in den Entwicklungsländern, weil sie die amerikanische Wolle 35 Prozent billiger anbieten als die der Entwicklungsländer.

Die französische Weizenproduktion pro Kopf beträgt 1.000 Tonnen und wird mit 56.000 Euro pro Tonne subventioniert. Der Kollege aus der Sahelzone hat eine Prokopfproduktion von einer Tonne jährlich und bekommt keine Subvention. Damit ist er deutlich teurer und sein Produkt ist im Inland nicht konkurrenzfähig.

Verstärkt wird diese Subventionspolitik der Industrieländer noch durch eine neoliberale Wirtschaftspolitik des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank. Diese Institutionen zwingen die Entwicklungsländer, ihre Nahrungsmittel nicht weiter zu subventionieren – obwohl sie nur so für die heimische Bevölkerung erschwinglich wird – sondern stattdesen die Staatserträge in den Schuldendienst zu leiten. Sie zwingen außerdem insbesondere die afrikanischen Länder zur Privatisierung und zur Öffnung der Märkte und Ressourcen für Unternehmen der Industrieländer.

Aus der früheren kolonialen Abhängigkeit wurde nun die Abhängigkeit von multinationalen Unternehmen und Institutionen.
Verstärkt wird die Misere noch durch einheimische korrupte Eliten, die sich nationale Ressourcen aneigneten, oft unterstützt durch multinationale Konzerne, zur Sicherung ihrer Profite. Nur zu der von uns angeprangerten Korruption gehören immer zwei: Einer der nimmt und einer der gibt. Und die Geber sind zumeist bei uns angesiedelt.

All dies führt dazu, dass Menschen aus Gründen von Hunger, Arbeitslosigkeit, geringer Lebenserwartung, Bildungsdefiziten und der Nachfrage nach billigen und flexiblen Arbeitskräften in den Zielländern ihre Heimat verlassen. Dabei ist diesen Menschen egal, ob sie mit oder ohne Papiere in ein für sie reicheres Land kommen.

Langfristig wird sich das nur ändern, wenn wir die Ursachen der Migration endlich wirkungsvoll bekämpfen. Dazu gehört eine massive Klimaschutzpolitik, um ein weiteres Austrocknen oder Überschwemmen der Heimatgebiete zu verhindern und langfristig rückgängig zu machen. Dazu gehört auch, eine Abschaffung jeglicher Subventionierung von Baumwolle und Futtermitteln, mittelfristig zumindest die Abschaffung der Exportsubventionen. Weiterhin gehört dazu eine Umkehrung der Politik von IWF und Weltbank, die sich nicht an den Interessen der Industrieländer, sondern an den Zielen der Uno-Kommission für Internationale Migration orientieren muss.

Ansonsten wird der Satz war, den Rajendra Pachauri, der indische Chef des mit dem diesjährigen Friedensnobelpreis mitgeehrten UN-Klimarates in seiner Rede in Stockholm vor vierzehn Tagen sagte:
„Da immer mehr Menschen als Folge des Klimawandels der Zugang zu reinem Wasser, ausreichend Nahrung, stabiler Gesundheitsversorgung und sicherer Heimstatt fehlt, wird es zwangsläufig immer mehr Konflikte statt Stabilität geben.“
Dem ist nichts hinzuzufügen.

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