Bilz-Stiftung

Bilz-Preis 2016

Bilz-Preisverleihung am 3. November 2016

Preisträger

IG Keupstraße

Laudator

Thomas Laue

Presse

Begrüßungsrede von Fritz Bilz

Sehr geehrte Frau Şahin von der Interessengemeinschaft Keupstraße,
Sehr geehrter Herr Laue,
Lieber Werner Jung,
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte Sie im Namen der Bilz-Stiftung zur Verleihung des Bilz-Preises 2016 ganz herzlich begrüßen.
Wie jedes Jahr möchte ich auch diesmal die Preisverleihung dazu nutzen, auf das politische Spannungsfeld hinzuweisen, in dem sich die diesjährige Preisträgerin – die Interessengemeinschaft Keupstraße – bewegt.
Ursprünglich im Jahre 1995 gegründet, um für ein friedliches Zusammenleben unterschiedlicher Nationalitäten und Ethnien zu werben und ein gegenseitiges Verständnis, Respekt und Toleranz zu fördern, sahen sich die Menschen der Interessengemeinschaft am 9. Juni 2004 mit einem von Ausländerhass geprägten mörderischen Nagelbombenattentat in ihrer Keupstraße konfrontiert. 22 Menschen wurden verletzt, vier davon schwer. Die Bemühungen der Initiative, Barrieren und Vorurteile zwischen der deutschen Mehrheitsbevölkerung und den Menschen in und um die Keupstraße herum abzubauen, wurde insbesondere durch das von struktureller Ausländerfeindlichkeit geprägte Verhalten der Polizei, der Ermittlungsbehörden und des Verfassungsschutzes zerstört. Frau Şahin sagte es am 7. November dieses Jahres sehr schön: „Wir wollen doch nur dazugehören“ und „Es gibt nichts Schöneres, als verstanden zu sein.“ Dieses wurde jäh in Frage gestellt.
In einer ersten Meldung der Kölner Polizei wurde kurz nach dem Anschlag noch von einem terroristischen Gewaltakt gesprochen. Es dauerte keine halbe Stunde und schon wurde diese Bewertung korrigiert. Es gäbe keinen Hinweis auf einen terroristischen Hintergrund. Am nächsten Tag gab Bundesinnenminister Otto Schily diese für Jahre entscheidende Weichenstellung auch öffentlich bekannt. Im Fernsehen sagte er, dass ein terroristischer Hintergrund auszuschließen sei stattdessen könne man von einer Tat aus dem kriminellen Milieu ausgehen, ohne dass er auch nur einen konkreten Hinweis dafür hatte.
Der Leiter der Ermittlungsbehörden, Oberstaatsanwalt Wolff sagte, da es kein Bekennerschreiben gebe, sei ein rechtsradikaler Hintergrund auszuschließen. Als ob es Usus in rechtsradikalen Kreisen ist, Bekennerschreiben zu versenden. Wir kennen das nur aus dem RAF- oder islamistischen Terror.
Aber für den terroristischen Hintergrund gab es genügend Indizien.
• Schon 1998 wurden bei den Neo-Nazis in Jena – also Böhnhard, Mundlos und Tschäpe – vier funktionsfähige Rohrbomben sichergestellt. Aber – so die Bewertung des Bundesamtes für Verfassungsschutz – konkrete Anschläge seien wohl nicht beabsichtigt worden. Ja wofür bauen sie denn solche Rohrbomben? Um sie auszustellen?
• Nur einen Monat nach dem mörderischen Anschlag in der Keupstraße – also im Juli 2004 – wurde in einem Papier des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Hinblick auf den Anschlag darauf hingewiesen, dass vor allem von der englischen Neonaziorganisation „Combat 18“ solche Nagelbomben benutzt werden und von der Organisation auch Anleitungen zum Bau solcher Bomben im Internet publiziert wurden. Nachweislich wurden diese Anleitungen auch von deutschen Nutzern noch 2004 abgerufen.
• Eine Zeugin aus Nürnberg, die das Video von der Keupstraße gesehen hatte, sagte 2005 aus, das seien dieselben, die sie in Nürnberg am Tatort Yasar – einem ermordeten türkischen Geschäftsmann – mit dem Fahrrad gesehen habe. Die Zeugen wurde dann solange vernommen , bis sie sagte, so 100-prozentig sei sie sich nicht mehr sicher
• Ein Kölner Journalist schrieb noch vor dem Auffinden von Böhnhard und Tschäpe, dass er beim Recherchieren die Ähnlichkeit des Phantombildes aus Nürnberg und der Kamera-Überwachungsbilder aus Köln bemerkt habe. Er habe dann die Kölner Polizei angerufen und nachgefragt. Er bekam die Antwort, dass sie das alles abgecheckt und festgestellt hätte, dass dies nichts miteinander zu tun gehabt habe.
Stattdessen wurde nur im angeblich kriminellen Milieu der Keupstraßenbewohner recherchiert. Die Hauptarbeit der Kölner Sonderermittlungsbehörde beim Polizeipräsidenten bestand darin, seit Anfang 2015 Daten und Anschriften der Männer zw. 25 und 35 Jahren auszuwerten, die im Umkreis von 10-12 Fußminuten um den Tatort wohnten. In dieser Rasterfahndung wurden völlig unbescholtene Männer zum Verhör geladen und mussten Fragen beantworten wie:
• Haben Sie ein Fahrrad?
• Haben Sie eine Garage?
• Können Sie oder Menschen aus ihrem Umfeld Bomben bauen?
Weigerten sie sich, so wurde Druck ausgeübt, ja sogar mit Schwierigkeiten gedroht.
Der Inhaber des Friseursalons, vor dem die Bombe explodierte, wurde immer wieder vor den Augen seiner Kinder von zu Hause abgeholt, wieder und wieder verhört, aber die Bewohner waren sich sicher, dass keiner von ihnen die Bombe gezündet hatte. Die Verunsicherung war groß, weil immer wieder von einem Konflikt innerhalb der Keupstraße ausgegangen wurde. Wiederholt wurden in der Keupstraße Razzien durchgeführt, natürlich ergebnislos. Die Ermittler setzten türkische und kurdische Geschäftsleute unter Druck. In den sieben Jahren „ist so viel kaputt gegangen, das kann man so schnell nicht wieder aufbauen“, so Meral Şahin.
Von Anfang an waren sich Medien, Ermittlungsbehörden und Politik einig, dass es sich um einen kriminellen Konflikt im türkischen und kurdischen Milieu handelte. Übrigens, das ist nicht nur ein Kölner Phänomen. Auch bei den seit dem Jahre 2000 verübten NSU-Morden wurden die Schuldigen im türkischen Milieu gesucht. Dieses Versagen in der Bekämpfung der tatsächlichen Ursachen kostete weitere Menschen das Leben. Dabei spielte auch die Presse eine unrühmliche Rolle.
So kriminalisierte der Kölner Stadt-Anzeiger am 10. Juni 2004 die ganze Keupstraße als Hort von illegalen Geschäften, Schutzgeld, Erpressung, Drogenhandel, Rotlichtszene und Machtkämpfe
Noch im Februar 2011 schrieb der Spiegel unter dem Titel „Düstere Parallelwelt“, man wisse zwar nicht wer die Täter seien, aber sei gewiss, dass die Täter aus dem „migrantischen Milieu“ stammen.
Das sind Beispiele für den Alltagsrassismus aus der Mitte der Gesellschaft.
Diese – fast könnte man meinen wissentlichen Falschanschuldigungen – endeten erst am 4. November 2011, als nach einem Banküberfall in Eisenach Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos tot in ihrem ausgebrannten Wohnmobil in einem Vorort von Eisenach gefunden wurden. Inzwischen hatte diese Terrorgruppe von 1998 bis 2011 14 Raubüberfälle, zehn Morde und drei Sprengstoffanschläge begangen. Es wurde bisher keine Verbindung hergestellt zu der rechtsradikalen Terrorgruppe Erst eine Woche später – fast bezeichnend am 11. im 11. 2011 – gab die Bundesanwaltschaft bekannt, dass eine Verbindung zwischen den Mordserien und den aufgefundenen NSU-Tätern existiert. Es dauerte noch einmal zwei Tage bis am 13. November 2011 auch eine Verbindung vom Sprengstoffanschlag in der Keupstraße und der Terrortruppe hergestellt wurde.
Bis jetzt wurden die Opfer in der Keupstraße als Täter behandelt und zahlreichen Vernehmungen und Verhören unterworfen.
Man hätte nun annehmen können, dass man jetzt die Aufklärungsarbeit forcierte, um endlich Täter und Hintermänner respektive –frauen zu ermitteln.
Aber jetzt ging in Teilen der Ermittlungsbehörden die Vertuschung los:

  • Schon am 11. November 2011, eine Woche nach dem Auffinden der beiden Mundlos und Böhnhardt ordnete der Referatsleiter Lingen vom Bundesverfassungsschutz an, dass Akten zu vernichtet sind, um die Einsichtnahme zu verhindern. Denn sonst könne das Behördenversagen oder sogar die Verstrickung von sieben V-Leuten nachgewiesen werden. Im Jahre 2014 gab Lingen vor dem Untersuchungsausschuss zu, „dass dann die Frage, warum das Bundesamt für Verfassungsschutz von nichts gewusste habe, vielleicht gar nicht auftaucht“.
  • Von 2011 – unmittelbar nach dem Anschlag – bis in den Sommer 2012 begann der Verfassungsschutz Berge von Akten über die Nazi-Szene zu schreddern. Es sollte wohl eine staatliche Mitschuld vertuscht werden.
  • Im Jahre 2014 hat die Bundesanwaltschaft, die Anklagebehörde im Münchener Prozess, entscheidendes Material zum Waffenbeschaffer Jan Werner ohne Einsichtnahme durch das Bundeskriminalamt vernichtet.
  • Im Frühjahr 2015 vernichtete das Landesamt für Verfassungsschutz in Brandenburg wichtige Daten zu ihrem zentralen Spitzel Piatto, einem Schwerverbrecher und Rassisten.

Ja man kann mit Fug und Recht sagen, dass insbesondere deswegen die Bemühungen der ermittelnden Richter in München, weitere Hintergründe und Hintermänner zu ermitteln, nicht erfolgreich waren, weil die Behörden insbesondere der Verfassungsschutz blockieren und damit die Aufklärung verhindern.
Ich möchte mich ausdrücklich der Einschätzung von Mitat Özdemir der „Initiative Keupstraße ist überall“ anschließen, der sagte: „In der Keupstraße sind zwei Bomben explodiert. Die erste zerschlug Schaufenster und hinterließ Narben auf der Haut der Anwohner. Die zweite wurde durch die Verdächtigungen der Ermittler gezündet, die Streit zwischen Kurden und Türken als eigentliche Ursache sahen, ohne einen einzigen Beweis zu haben.“ Ich möchte noch hinzufügen, dass die Vertuschung der Ermittlungsbehörden den Opfern weitere schwere Verletzungen zugefügt haben.
Es gab sogar nach Bekanntwerden des NSU-Hintergrundes noch Unbelehrbare in Behörden und Politik. So war der Leiter der Kölner Ermittlungsbehörde „Bosporos“ – dieser Name ist schon Beweis für den Rassismus bei der Polizei – 2012 weiterhin überzeugt davon, in seinen Ermittlungsmethoden zwischen 2004 und 2011 richtig gehandelt zu haben.
Bis heute negieren der Innenminister, der Verfassungsschutz und die Polizei ihr Versagen und verzögern somit die Aufklärung des gesamten NSU-Komplexes.
Noch im Jahre 2014 redete der Bezirksbürgermeister Fuchs davon, dass diese Straße vor Jahrzehnten auch schon mal ein krimineller Brennpunkt war, da könne man natürlich auch schon mal in diese Richtung ermitteln. Ganz abwegig sei das also nicht gewesen.
Bei der Bewertung des Behördenverhaltens auf allen Ebenen kann ich Dr. Werner Jung nur vorbehaltlos zustimmen, als er im Oktober 2012 in seiner Rede im Polizeipräsidium ausführte, dass deren Versagen einer der größten Skandale in der Geschichte der Bundesrepublik darstellt – in seiner Dimension vergleichbar mit der Spiegelaffäre von 1962.
Wie gehen wir, die Mitmenschen der Migrantinnen und Migranten mit dem bisherigen Geschehen um? Oder noch deutlicher gefragt, wie müssen wir damit umgehen? Wir, die Männer und Frauen der deutschen Mehrheitsgesellschaft haben eine Bringschuld den Menschen in und um die Keupstraße herum. Wir haben die Bringschuld durch unser Verhalten zu zeigen, dass das von den Behörden sieben Jahre lang offen gezeigte ausländerfeindliche Verhalten und Misstrauen nicht das Denken und Fühlen der großen Mehrheit der Bevölkerung widerspiegelt. Wir haben uns tagtäglich in Wort und Tat dafür einzusetzen jedem fremdenfeindlichen Reden und Agieren Einhalt zu gebieten und unser Verhalten danach zu richten. Es ist eine dauernde und nicht endende Aufgabe.
Die heutige Verleihung des Bilz-Preises an die Interessengemeinschaft Keupstraße soll ein kleiner Mosaikstein in diesem Sinne sein.
Herzlichen Dank

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