Bilz-Stiftung

Bilz-Preis 2001

Bilz-Preisverleihung am 23. November 2001

Preisträger

Jugendclub Courage Köln e.V.

Laudator

Sonia Mikich

Presse

Laudatio von Sonia Mikich

Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Herr Bilz, liebe Agisra-Frauen

Lassen Sie mich ganz aktuell anfangen. Wir schauen gebannt nach Afghanistan, zu den stärksten Bildern in den Nachrichten und Zeitungsartikeln gehören zweifellos die der Frauen, die das Gesicht wieder frei tragen können, die ihre Burka abgestreift haben. Sie gelten als heldenhafte Opfer einer religiösen Diktatur, wir freuen uns mit ihnen, dass erste Schritte zur individuellen Freiheit wieder möglich sind. Was aber wäre mit einer solchen Afghanin passiert, wenn sie vor ein, zwei, drei Jahren in Deutschland um politisches Asyl gebeten hätte? An wen hätte sie sich hilfesuchend wenden können, wo wäre sie verstanden worden? Wo wäre der Zusammenhang zwischen Sexismus, politischer Unterdrückung und wirtschaftlicher Not sofort erkannt worden? Wahrscheinlich bei der Gruppe, die wir hier heute ehren.

Seit dem 11.September ist die Welt anders geworden, das Sicherheitsbedürfnis der Menschen im Westen geheiligt. Fremdartiges stört. Migranten, Migrantinnen – das sind die, die angeblich Unruhe ins Land bringen. Anti-Rassisten, Kritiker, Menschenrechtler, Moralisten haben es nicht leicht in diesem Land, das sich im Krieg des Westens um Freiheit und Zivilisation wähnt. Leicht haben es die lauten Trommler der westlichen Werte, nicht die leisen Humanisten. Gehört werden die Vereinfacher, nicht die Zweifler.

Umso glücklicher bin ich, dass heute an dieser Stelle die Leisen geehrt werden. Eine Gruppe von Frauen, die sich der Allerschwächsten angenommen haben.
Sie garantieren, dass Humanität, Nächstenliebe und Frauenbewusstsein einen Stellenwert behalten in diesen Zeiten der Haupt- und Nebenkriegsschauplätzen.
Agisra ist entstanden, als die Frauenbewegung begann, sich mit Sextourismus und Frauenhandel auseinander zu setzen…

Sextourismus, ein verharmlosendes Wort. Zweck der Reise ist nicht nur die sexuelle Gratifikation, die man sich kauft. Sondern Männeridentität, Überlegensheitsgefühle werden gleich mitgekauft. Und die Ware Frau dient als Gefäss für allerlei Machtfantasien. Beim Sextourismus begegnen sich nicht Menschen auf gleicher Augenhöhe, wie das Begriffspaar Käufer und Verkäuferin vielleicht suggeriert. Die Kunden können, ganz Biedermann, zurück in ihre deutschen Alltag. Ohne moralische Nachfragen, ohne Folgen ist ihr Handeln. Die Frauen sind zum Objekt reduziert und gelten als unsittlich.

Solche Doppelmoral entlarvten philippinischen und deutsche Feministinnen zu Beginn der 80er Jahre. Sie gründeten in Frankfurt, München, Ulm und Köln Arbeitsgemeinschaften und setzten sich öffentlich für die Rechte der Frauen ein. Insbesondere die Rechte jener Frauen, die von Freiern oder Vermittlern nach Deutschland gelockt wurden und dann in schreckliche Not gerieten. Die getäuschte Barfrau, das ausgebeutete Dienstmädchen, die erpresste Prostituierte. Wenn diese Frauen bei einer unerlaubten Arbeitsaufnahme erwischt werden, erfolgt die Abschiebung. Wenn die gekaufte Ehefrau nicht mehr gefällt, rutscht sie schnell in die Rechtlosigkeit ab.

Von Anfang an achteten die Frauen der agisra Köln darauf, dass es möglichst keine psychologische Kluft zwischen den Hilfesuchenden und ihren Fürsprecherinnen gab. Denn: wer hilfesuchend ins Büro der agisra kam, hatte zuvor oft verletzende, diskriminierende Erfahrungen mit anderen Beratungsstellen oder Institutionen gemacht. Der gemeinsame Erfahrungshintergrund – da fällt Sprechen, Erklären, Kämpfen leichter. Die meisten agisra-Mitarbeiterinnen wissen selbst, was Auswandern oder Flucht bedeuten, persönlich und politisch.
Agisra versteht sich als interkulturelles Team, das informiert, bildet und berät. In Stichworten: Amtsangelegenheiten, Fragen des Sozialrechtes, Gewalt in Beziehungen, Frauenhandel, sexistische und rassistische Diskriminierung, Vergewaltigung und Nötigung. Zwangsverheiratung, Asylverfahren, Abschiebehaft, Aufenthaltsrecht, Familien- und Generationskonflikte – alles Themen für agisra. Sie gehen in Gefängnisse und zu Strafprozessen, sie begleiten bei Behördengängen. Regional und national vernetzen sie sich, um Frauenhandel und Gewalt an Frauen zu stören.

Wegen der Aufklärungsarbeit und der praktischen Hilfe dieser Initiative wissen wir hierzulande von der Ohnmacht von Menschen, denen fundamentales Menschsein abgesprochen wird. Der Antrieb der agisra: Frauensolidarität und Anstand und Glauben an Gerechtigkeit, wenn auch nicht immer an den Rechtsstaat, so wie wir ihn vorfinden.

Darum will agisra auch in die Zukunft hinein wirksam sein. Sie setzt sich für die rechtliche und soziale Gleichstellung von Migrantinnen und deutschen Frauen ein. Sie kämpft um ein vom Ehemann unabhängiges Aufenthaltsrecht für Migrantinnen und die Anerkennung frauenspezifischer Fluchtgründe. Agisra fordert die Abschaffung der Abschiebehaft und eine unbeschränkte Arbeitserlaubnis für Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen.

Aufklären, helfen, politisch einmischen – das ungeschriebene Motto dieser Aktivistinnen. Als ich diese Rede vorbereitete, fiel mir auf, welche Probleme diese Menschenrechtlerinnen überwinden müssen, um überhaupt anfangen zu können. Ich spreche nicht nur von kargen Ressourcen, von fehlenden bezahlten Arbeitsplätzen. Ich spreche auch von der Gleichgültigkeit der Behörden, von rassistischen Vorurteilen. Von den Ohnmachtsgefühlen, die hilfesuchende Frauen lähmen.

Lassen Sie mich mit einer selbstkritischen Note enden: Die Medien schaffen es nur kurzfristig aufzuklären und aufzuwühlen, wie jetzt, im Falle Afghanistans. Der Alltag unserer Arbeit ist eher deprimierend: ich habe neulich gelernt, dass bei der sog. Minutenschrittanalyse Zuschauer um- oder abschalten, wenn das Wort Flüchtlinge fällt. Es schmerzt mich daher zu wissen, wie allein die Menschenrechtlerinnen und ihre „Schutzbefohlenen“ sind. Deswegen ist die heutige Auszeichnung so wichtig:

Die Bilz-Stiftung verleiht den Preis 2001 in Höhe von 15.000 Mark der „AG gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung e.V.“ (agisra) in Köln mit folgender Begründung:

„Seit über acht Jahren unterstützt agisra in Köln, Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen, die sexuell ausgebeutet, verfolgt und ohne rechtlichen Schutz sind. Mit ihren konkreten Beratungen und Hilfen sowie der politischen Arbeit im Sinne der verfolgten Frauen setzt sich agisra damit für eine Zukunft ohne sexuelle und rassistische Ausbeutung ein.

 

Begrüßungsrede von Fritz Bilz

Sehr geehrte Damen und Herren,

im Namen der Bilz-Stiftung möchte ich Sie sehr herzlich begrüßen. Besonders begrüßen möchte ich natürlich die Mitglieder und Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung e.V. Köln – agisra und die Laudatorin Sonia Mikich.

In diesem Jahr findet zum dritten Mal die Verleihung des Bilz-Preises statt. 1998 gegründet, verlieh die Stiftung 1999 den 1. Bilz-Preis an den Unterstützerkreis für die von Abschiebung bedrohten Kinder und Jugendlichen e.V. Köln und im letzten Jahr an den Jugendclub Courage. Beide Preisträger sind anwesend und ich möchte auch sie herzlich willkommen heißen.

Neben dem Bilz-Preis in Höhe von 15.000 DM werden jährlich mehrere kleine Förderpreise für konkrete, abgegrenzte Projekte bis zur Höhe von 3.000 DM vergeben. So erhielten dieses Jahr eine Förderung:

· Der Unterstützerkreis für die von Abschiebung bedrohten Kinder und Jugendlichen für drastisch gestiegene Rechtsanwaltskosten, um insbesondere die Abschiebung traumatisierter Frauen ins Kosovo zu verhindern.
· Die Gedenkveranstaltung in Köln am 17. Mai 2001 zur Erinnerung an die vor genau 68 Jahren hier stattgefundenen Bücherverbrennung.
· Eine Studienfahrt von in der Ausbildung befindlichen Erzieherinnen zum Frauen KZ Ravensbrück.
· Ein Symposion des Rheinischen Instituts für Geschichte und Gedächtnis zum Thema „Jüdische Jugend in Köln während der NS-Zeit“
Zurück zur heutigen Preisverleihung.

Ich möchte der Laudatorin Sonia Mikich nicht vorgreifen, die die Arbeit von agisra würdigt und dabei ihre soziale und politische Relevanz gerade in heutiger Zeit hervorhebt. Aber gerade in diesen Tagen und Wochen zeigt sich die Wichtigkeit, sich für unterdrückte Frauen einzusetzen besonders. So wurden schon vor dem 11. September die afghanischen Frauen entrechtet, unterdrückt, gequält, vergewaltigt. Dabei unterscheiden sich die Vertreter der Nordallianz bzw. Talibangegener gegenüber den Taliban höchstens in der Art und Ausprägung ihrer Brutalität gegenüber Frauen.

Ich hoffe, dass die Ehrung von agisra auch die Situation ausgebeuteter, entrechteter und gequälter Frauen mehr in den Vordergrund rückt und Menschen – insbesondere Männer – in Deutschland zum Nachdenken und Handeln zwingt.

Ich darf nun Sonia Mikich bitten, die Laudatio für agisra zu halten und den Bilz-Preis 2001 zu überreichen.

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