Bilz-Preisverleihung am 26. November 2004
Preisträger
Laudator
Laudatio von Renan Demirkan
Laudatio zur Bilz-Preisverleihung am 26. November 2004 von Renan Demirkan
Sehr geehrte Damen und Herren,
in diesem Jahr wird zum fünften Mal der Bilz-Preis verliehen. Diese Auszeichnung in Höhe von 5.000 Euro erhält heute der Verein „Öffentlichkeit gegen Gewalt Köln“.
Er ist 1992 entstanden als Reaktion auf die zunehmende rassistische Gewalt in Deutschland. Der Verein setzt sich für ein friedliches und respektvolles Zusammenleben der Menschen in Köln ein, unabhängig von ihrer Hautfarbe, Herkunft, Kultur und Religion.
Aus den Telefonketten des Vereins in den Anfangsjahren zum unmittelbaren Schutz gegen rassistische Gewaltübergriffe entwickelte sich zunächst eine Beschwerdestelle, aus der dann 1995 das Antidiskriminierungsbüro Köln entstanden ist, auch heute noch einer der Arbeitsschwerpunkte von „Öffentlichkeit gegen Gewalt“.
Dort wird Einzelberatung bei alltäglicher Diskriminierung geboten. Der Verein engagiert sich aber auch gegen die menschenunwürdige Unterbringung von Flüchtlingen in Köln, gegen Aufmärsche von Neonazis oder gegen den Krieg.
Neben der Unterstützung im Einzelfall setzt sich Öffentlichkeit gegen Gewalt auch dafür ein, gesellschaftliche Diskriminierung aufzudecken und an die Öffentlichkeit zu bringen, um das Bewusstsein der Bevölkerung gegen Rassismus zu sensibilisieren.
Um aber strukturellen und institutionellen Rassismus aufzudecken und zu beseitigen reicht eine spontane Empörung vor Ort nicht aus. Neben der kommunalen ist deshalb auch eine kontinuierliche Arbeit auf Landesebene nötig. Im Rahmen des landesweiten Netzwerks der regionalen Antidiskriminierungsbüros in NRW bis hin auf Bundesebene müssen politische Maßnahmen initiiert und durchgesetzt werden. Dazu gehört vorrangig die Verabschiedung eines Antidiskriminierungsgesetzes.
Öffentlichkeit gegen Gewalt hat dieses Jahr ein dreijähriges Projekt beendet mit dem Thema „Gleiche Bildungs- und Arbeitschancen für junge MigrantInnen“. Dieses hatte das Ziel, konkrete Probleme von jungen MigrantInnen in Köln in den verschiedenen Schulformen zu untersuchen. Dies betrifft besonders die Einweisung in die Sonderschule für Lernbehinderte und auch den Übergang von der Schule zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt.
Die landesweite Vernetzung der Antidiskriminierungsbüros wurde vom Kölner Verein forciert und vorangetrieben. Zur Zeit werden gemeinsam Qualitätsstandards in der Antidiskriminierungsarbeit im Rahmen eines Qualitätszirkels des Landeszentrums für Zuwanderung entwickelt.
Um die Arbeit auf eine breitere Basis zu stellen, wurden Kontakte zu den Migrantenselbstorganisationen geknüpft. In diesem Jahr lag der Schwerpunkt der Arbeit mit den Organisationen der Schwarzen Community. Ein gemeinsam erstelltes Buch wurde auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt.
Ein wichtiges Anliegen von ÖgG ist, die Kölner Öffentlichkeit über Vorträge auf Kongressen und Veranstaltungen auch mit Hilfe von Workshops und Seminaren zu sensibilisieren.
Um in Köln die Arbeit der verschiedenen Organisationen zu koordinieren, wird zur Zeit ein „Drei-Säulen-Konzept“ entwickelt. Dabei soll die Zusammenarbeit zwischen der kommunalen Verwaltung, dem interkulturellen Referat der Stadt Köln, dem Wohlfahrtsverband Caritas und dem Antidiskriminierungsbüro Köln von ÖgG koordiniert werden. In diesem bisher bundesweit einzigen Modell sollen trotz unterschiedlicher Ansätze einige Schnittstellen gefunden werden, um gegen Diskriminierung vorzugehen.
In der Antidiskriminierungsarbeit hat die Öffentlichkeitsarbeit eine wichtige Funktion für ÖgG. Dabei sollen konkrete Fälle rassistischer und ausgrenzender Maßnahmen öffentlich dargestellt werden, um zum einen die Mehrheitsgesellschaft zu sensibilisieren, aber zum anderen die MigrantInnen bestärken, sich für ihre Rechte einzusetzen. Für das Jahr 2004 ist eine Dokumentation Kölner Diskriminierungsfälle kurz vor dem Abschluss.
Der Verein „Öffentlichkeit gegen Gewalt Köln“ erfüllt damit in vorbildlicher Form die von der Bilz-Stiftung gesetzten Ziele,
sich für die Völkerverständigung einzusetzen,
sich um politisch, rassisch oder religiös Verfolgte zu kümmern und
gegen die Diskriminierung von Minderheiten zu kämpfen.
Die Bilz-Stiftung verleiht deshalb den diesjährigen Bilz-Preis in Höhe von fünftausend Euro dem Verein „Öffentlichkeit gegen Gewalt“ mit folgender Begründung:
„Seit über zwölf Jahren betreut der Verein Öffentlichkeit gegen Gewalt Köln Menschen, die wegen ihrer Hautfarbe, Herkunft, Kultur oder Religion ausgegrenzt oder verfolgt werden. Mit seinem Antidiskriminierungsbüro, sowie seinen örtlichen und überörtlichen Aktivitäten setzt sich der Verein für ein friedliches und respektvolles Zusammenleben der Menschen ein.“
Dazu noch einmal mein Glückwunsch und mein Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Begrüßungsrede von Fritz Bilz
Rede zur Bilz-Preisverleihung am 26. November 2004 von Fritz Bilz
Sehr geehrte Frau Demirkan,
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde!,
die heutige Ehrung findet in einer Kommune statt, in der vor rund zwei Monaten rechtsradikale und ausländerfeindliche Parteien rund fünf Prozent der Stimmen erhalten haben, sie sitzen somit im Kölner Stadtrat und in den Bezirksvertretungen. Dies hat direkte Auswirkungen auf die Arbeit von Öffentlichkeit gegen Gewalt, es trifft auch die Bilz-Stiftung, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, gerade die Initiativen zu ehren, die sich gegen Ausländerfeindlichkeit und Diskriminierung einsetzen. Ich möchte etwas zu dem Klima sagen, das die Folie für die Wahlerfolge solcher Parteien bildet. Dabei geht es mir nicht darum, die Menschen, die diese Parteien wählten, zu brandmarken. Es geht mir darum festzustellen, welche veröffentlichte Meinung dazu führt, dass Menschen diese Entscheidung trafen und zwar gerade jetzt, denn in den Vorjahren geschah das nicht in dem Maße.
Was ist geschehen?
Am letzten Sonntag gab es zwei Ereignisse, die nur scheinbar nichts miteinander zu tun hatten. Der CSU-Parteitag und die Kölner Demonstration „Für Frieden – gegen Terror“. Ich bin froh, dass es diese Demonstration hier in Köln gegeben hat, dass so viele Menschen teilgenommen haben. Mohammedaner haben sich gegen den Terror ausgesprochen. Das ist gut so!
Aber, brauchen wir nicht auch eine Demonstration „Christen gegen den Terror“? Denn Christen haben in Bosnien Muslime umgebracht. Bush zerbombt im Namen Gottes im Irak eine Stadt nach der anderen, über 20.000 Muslime wurden bisher umgebracht. Und das Bomben und Töten geht weiter. Jeden Morgen betet Georg W. Bush zu Gott und lässt sich seine Politik von ihm absegnen.
Das zweite Ereignis war der CSU-Parteitag.
Da beschlosss die CSU fast einstimmig einen Antrag zur „Deutschen Leitkultur“. Der „christliche Patriotismus“ müsse Bestandteil dieser Leitkultur sein, an den sich die hier lebenden Ausländer anzupassen haben. Und wenn sie sich nicht dazu zwingen lassen, sollen die Sozialleistungen gekürzt werden, so der beschlossene Antrag. Da passen eben die Moscheen nicht hinein und schon haben wir den Slogan der rechtsradikalen „Pro Köln Partei“ bei der letzten Kommunalwahl. „Ja zu Offenheit und Toleranz, nein zu islamischen Kopftüchern“, so der CSU-Vorsitzende Stoiber.
Annette Schavan fordert: In Moscheen soll künftig nur in deutscher Sprache gepredigt werden. Gerade sie als Mitglied im Zentralrat der Katholiken strotzt nicht gerade vor Neutralität in dieser Auseinandersetzung.
Am 17. November erfahren wir von einem Anschlag auf eine Moschee.
Soll so eine deutsche Leitkultur durchgesetzt werden? Eine Leitkultur, die – wenn wir in der Geschichte einmal zurückgehen – noch nicht einmal in der Lage war, ein eigenes Zahlensystem aufzubauen. Da greifen wir auf das Arabische zurück.
Eine deutsche Leitkultur, die noch nicht einmal in der Lage war, eine eigene Schrift zu entwickeln, da greifen wir auf die römische zurück. Und die Versuche der Nazis, eine deutsche Schrift – wie sie einmal im 18./19. Jahrhundert vorhanden war – wieder verbindlich einzuführen, scheiterte kläglich. Und zwar, weil in ganz Europa und vielen Kontinenten die römische Schreibweise verbindlich ist. Reumütig kehrte Deutschland noch in der NS-Zeit zu dieser Schrift zurück.
Manche nehmen nicht die deutsche Leitkultur zum Maßstab, sondern die Werte der Aufklärung. Sie sollen für alle Migranten als Maßstab der Anpassung gelten. Nur darf dabei nicht vergessen werden, dass die Aufklärung auch für uns gilt. Das heißt, der Fremde darf nicht automatisch als Feind, Angreifer, Zerstörer unserer sog. Leitkultur gesehen werden.
Nein, wer meint, Integration sei ein einseitiger Prozeß, hat die Werte der Aufklärung nicht verstanden. Auch wir müssen uns ändern, z.B. ein Kopftuch nicht per se als Angriff auf unsere Werte ansehen.
Bisher bin ich in meiner Betrachtung nur eine Woche zurückgegangen. Die Kommunalwahl mit dem bekannten Ergebnis ist zwei Monate her. Schon seit längerer Zeit gibt es neue Worte, die wir alle hier vor zwei Jahren noch nicht kannten: Parallelgesellschaften und Hassprediger.
Da wird von Parallelgesellschaften geredet, als ob dies einzig der Wille der hier wohnenden Migranten sei, sich sozial abzukapseln und neue Strukturen zu schaffen.
Als ich den Begriff das erste Mal hörte, erinnerte ich mich an ein Phänomen, das ich als Historiker bei meinen Forschungsarbeiten über das Arbeitermilieu im 19. Jahrhundert vorgefunden habe. Die Arbeiter, denen die bürgerlichen Vereine und Freizeitangebote verschlossen blieben, schufen sich ihre eigenen Arbeitervereine, Kulturvereine und Berufsvertretungen. Da sie ausgegrenzt wurden, schufen sie sich ihre eigenen gesellschaftlichen Strukturen.
Genau so hat es der Soziologe Wilhelm Heitmeyer mit seinem heutigen Begriff „Parallelgesellschaften“ gemeint. Er untersuchte den gesellschaftlichen Kontext, der zu ihrer Entstehung führt. Er zeigte, dass sie das Produkt einer sozialen und kulturellen Ausgrenzung sind, ausgehend von ökonomischen und sozialen Krisen der Mehrheitsgesellschaft.
Wo der Arbeitsmarkt nahezu geschlossen ist, Aufstiegschancen versperrt und Mitwirkungsmöglichkeiten verweigert werden, öffnet sich das Tor zu der scheinbaren Sicherheit einer Binnenintegration. Dies führt zu Parallelgesellschaften im türkischen oder islamischen Milieu.
Bei dem in den Boulevardblättern und Fernsehsendungen verwandten Begriff, der den Migranten den Vorwurf von Parallelgesellschaften macht, werden Ursache und Wirkung verwechselt.
Das gleiche gilt für den neu aufgekommenen Begriff des „Hasspredigers“. Als ich dieses Wort zum ersten Mal hörte, dachte ich spontan an Kardinal Meißner, der offen gegen Homosexuelle predigte.
Alle Immane, alle islamischen Prediger werden in einen Topf geworfen. Sie zu bekämpfen sei oberste Bürgerpflicht.
Auch der „Spiegel“, dessen Niveau im Sturzflug sinkt, hat letzte Woche eine Serie über die Frauenfeindlichkeit des Islam begonnen, als ob dies dieser Religion immanent sei.
Dass die große Zahl der Muslime anders denkt und handelt, ist eben keine gute Nachricht, ist es nicht wert in Zeitungen und Magazinen veröffentlicht zu werden.
Befinden sich in unseren Frauenhäusern nur muslimische Frauen? Wird das Anwerben und Verschleppen schwarzafrikanischer, osteuropäischer und thailändischer Frauen in deutsche Bordelle und die damit verbundene Zwangsprostitution nur von islamischen Mafiagruppen organisiert? Dies darf man doch einmal provokant fragen.
Schon hat der Stammtisch eine neue – diesmal soziologisch und demokratisch legitimierte – Begründung für seine ausländerfeindlichen Äußerungen. Manifest wird es dann in den Parolen und Handlungen. Eine Moschee brannte schon in Sinsheim.
In vielen Köpfen setzt sich ein Denken fest, das sich in seiner schwächsten Ausprägung in Beleidigungen und Diskriminierung ausdrückt.
Deshalb ist es wichtig, dass neben der aufklärerischen Arbeit praktische Hilfe für die Migranten erbracht wird.
Dies leistet dankenswerterweise Öffentlichkeit gegen Gewalt Köln.
Ich bitte nun Renan Demirkan um die Laudatio.
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