Bilz-Preisverleihung am 17. Dezember 2015
Preisträger
Laudator
Laudatio von Dr. Lale Akgün
Laudatio zur Bilz-Preisverleihung am 17. Dezember 2015 von Dr. Lale Akgün
Sehr geehrte Damen und Herren,
in diesem Jahr wird zum fünfzehnten Mal der Bilz-Preis vergeben. Diese Auszeichnung in Höhe von 5.000 Euro erhält heute der Verein Friedensbildungswerk Köln e. V.
Wie entstand diese Initiative und was sind die Schwerpunkte ihrer Arbeit?
Der Verein Friedensbildungswerk Köln e. V. wurde 1982 von engagierten Menschen aus der Kölner Friedensbewegung gegründet, um den Gedanken des Friedens weiter zu verbreiten und zu stärken.
So fördert die Initiative durch ihre Bildungsarbeit gesellschaftliche Gewaltfreiheit, politische Beteiligung und soziale Gerechtigkeit, indem sie die gewaltfreie Konfliktbearbeitung, politische und gesellschaftliche Beteiligung und interkulturelle und soziale Kompetenzen zum Schwerpunkt der Bildungsarbeit macht.
Hier werden seit über 30 Jahren Bildungsreihen zu den Themen „Krieg & Frieden“ sowie „Politik & Gesellschaft“ angeboten. Dies geschieht vor allem durch Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen, aber auch durch Führungen, Ausstellungen, Filmvorführungen und Bildungsurlaub. Dabei kooperiert das Friedensbildungswerk häufig mit Organisationen der Friedensbewegung und sozialen Bewegungen. Das sind lokale Friedensinitiativen, das Kölner Friedensforum, der Jugendclub Courage – übrigens auch schon einmal Träger des Bilz-Preises – und attac. Außerdem gibt es eine feste Zusammenarbeit mit Weiterbildungsträgern, so z. B. mit der Volkshochschule.
Beispiele für diesen Arbeitsschwerpunkt waren in den letzten beiden Jahren Veranstaltungen zum Handelsabkommen TTIP, im Gedenkjahr 2014 mehrere Veranstaltungen zu „100 Jahre Beginn des Ersten Weltkriegs“ und eine Veranstaltungsreihe zur Städtepartnerschaft mit Corinto in Nicaragua unter dem Titel „Entwicklung bewegt – Das Beispiel Nicaragua“.
Ein zweiter wichtiger Programmbereich ist die Mediations-Fortbildung im Bereich gewaltfreie Kommunikation. Immer wieder kommt es zwischen Menschen zu schmerzvollen Missverständnissen und Verletzungen, die oft eskalieren. Mit Hilfe der gewaltfreien Kommunikation werden Wege aufgezeigt, wie man sich in friedlicher Haltung begegnen und wertschätzend miteinander reden kann. In Seminaren mit erfahrenen Schulungsleitern werden Deeskalationsstrategien entwickelt und Menschen befähigt, diese bei zwischenmenschlichen Konflikten anzuwenden.
Ein drittes Handlungsfeld des Kölner Friedensbildungswerks ist die Netzwerkarbeit. Sie ist unabdingbar für seine erfolgreiche Arbeit. Diese Vernetzung geschieht sowohl lokal als auch bundesweit. Diese wichtige Arbeit dient zum einen der inhaltlichen Qualität zum anderen als Element der sozialen Begegnung. So ist es logisch, dass das Friedensbildungswerk Köln Mitglied in der „Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden“ ist aber auch eine „Plattform für die Zivile Konfliktberatung e. V.“ bietet.
Aufgrund der immer stärker wachsenden Flüchtlingsströme hat sich das Friedensbildungswerk auch dieser Thematik geöffnet.
So hat der Verein die Anregung von Wolfgang Uellenberg van Dawen – dem Vorsitzenden des Runden Tischs für Integration – aufgegriffen, eine Veranstaltungsreihe zum „Einwanderungsland Deutschland“ in sein Programm aufzunehmen. Insgesamt vier Veranstaltungen widmeten sich in diesem Jahr dem Thema:
- Die Herausforderung einer Einwanderungsgesellschaft
- Keine Angst vor dem Fremdem
- Chancen der Einwanderung für den Kölner Arbeitsmarkt
- Selbstverständnis als Einwanderungsland.
Solche Veranstaltungsreihen helfen mit, zum einen Ängste abzubauen, die durchaus in der Bevölkerung vorhanden sind, aber zum anderen auch die Chancen zu sehen, die diese neu hinzugezogenen Menschen für unser Gemeinwesen bieten.
Deswegen wird der Verein mit dem Bilz-Preis 2015 mit folgender Begründung ausgezeichnet:
„Das Friedensbildungswerk fördert seit 1982 durch seine Bildungsarbeit gesellschaftliche Gewaltfreiheit, politische Beteiligung und soziale Gerechtigkeit. Das geschieht in vielfältiger Weise durch Vortragsreihen, Diskussions- und Fortbildungsveranstaltungen. Beispielhaft genannt werden hier die Veranstaltungen zum 100. Jahrestag des 1. Weltkriegs oder auch die Seminare zur gewaltfreien Kommunikation, Mediatorenfortbildung, Sprachkurse und Veranstaltungen im Rahmen der Städtepartnerschaft Köln-Corinto. Das Friedensbildungswerk leistet damit einen herausragenden Beitrag zur Völkerverständigung.“
Begrüßungsrede von Fritz Bilz
Rede zur Bilz-Preisverleihung am 17. Dezember 2015 von Fritz Bilz
Liebe Mitglieder und Freunde des Friedensbildungswerks Köln
sehr geehrte Frau Dr. Akgün,
sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte Sie im Namen der Bilz-Stiftung zur Verleihung des Bilz-Preises 2015 ganz herzlich begrüßen.
Ich möchte mich angesichts der heutigen Situation weltweiter Fluchtbewegungen – ob nun wegen Armut oder wegen Unterdrückung – heute einmal den Armutsflüchtlingen zuwenden.
Den Begriff „Wirtschaftsflüchtlinge“ halte ich nur gegenüber solchen Personen angebracht, die wie Boris Becker, Franz Beckenbauer oder Ralf Schumacher und Konsorten Deutschland nur aus dem Grund verlassen haben, hier keine Steuern zu entrichten. Aber auf unsere Infrastruktur greifen sie gerne zurück. In dem Sinne ist der Begriff „Wirtschaftsflüchtling“ zu recht inkriminiert. Aber um diese Menschen geht es mir heute nicht, sondern um Menschen, die aus Armut ihr Land verlassen.
Migration gibt es seit Menschengedenken, nur früher wurde sie Völkerwanderung oder Auswanderungswelle genannt. Früher wie heute war die Hauptursache die Suche nach Nahrungsmittelgrundlage oder einem Arbeitsplatz.
Die heutige Migrationsbewegung ist Teil der Globalisierung. Das Kapital sucht sich die Plätze der besten Verwertungsbedingungen, die Menschen suchen sich die Plätze der Arbeit. Beides lässt sich nicht verhindern, weder durch Gesetze noch durch Zäune. Übrigens: Die Geldüberweisungen von Flüchtlingen in ihre Heimatländer sind drei Mal so hoch wie die gesamte Entwicklungshilfe.
Heute wird ja so oft davon geredet, wir müssten die Ursachen dieser Migrationsbewegung bekämpfen. Dann werde alles gut.
Nun, dann geben wir uns einmal daran, die wirklichen Ursachen der Armutsflucht – insbesondere aus den afrikanischen Ländern – herauszuarbeiten. Nur, das geht tiefer als die bisherigen oberflächlichen Betrachtungen.
Eins der Grundübel ist die Politik der Welthandelsorganisation (WTO), des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank.
Sie nutzten die Schuldenkrise der afrikanischen Länder – oft selbst verursacht aber auch aufgrund fallender Rohstoffpreise – , um ihnen die Bedingungen für weitere Kredite zu diktieren. Kredite, die dringend notwendig für die darbenden Länder waren. Diese Länder wurden gezwungen, ihre Wirtschaft zu deregulieren. Konkret hieß das z.B. Umweltstandards radikal zu senken. Sie wurden gezwungen, Betriebe zu privatisieren, insbesondere diejenigen, die noch Gewinne abwarfen, um den Staatshaushalt zu entlasten. Gekauft haben sie oft für billiges Geld ausländische Konzerne. Dadurch mussten noch mehr Schulden beim IWF aufgenommen werden, ein Teufelskreis.
Weiterhin mussten alle Länder die Massensteuern – so die Mehrwertsteuer – drastisch erhöhen und im Gegenzug mussten die Unternehmenssteuern gesenkt werden, was insbesondere ausländischen Konzernen zu Gute kam. Viele Vorhaben – insbesondere internationaler Konzerne – wurden von der Weltbank finanziert. Man geht davon aus, dass rund 3,4 Millionen Menschen in Afrika durch die Weltbank finanzierten Vorhaben ihrer Lebensgrundlage beraubt wurden.
Eine weitere Ursache für den Anstieg der Armut in Afrika und der daraus resultierenden Flucht sind die Freihandelsabkommen mit Afrika. Zehn Jahre – von 2004 bis 2014 – haben sich viele afrikanische Länder insbesondere aus Ost- und Mittelafrika gegen ein Wirtschaftsabkommen mit der EU gewehrt. Dann ging der Wirtschaftskrieg der EU los. Exportprodukte einzelner besonders hartleibiger afrikanischer Länder wurden ab 1. Oktober 2014 mit bis zu 30 Prozent Importzöllen nach Europa belegt, z. B. Schnittblumen, Bohnen, Kaffee. Nun knickten auch diese Länder ein. Schon vorher waren durch ähnliche Erpressungen der EU die west- und südafrikanischen Länder eingeknickt. In diesen Abkommen wurden alle Importzölle für europäische Produkte verboten. Aber das Mittel des Importzolls ist eigentlich lebensnotwendig, um einheimische Produkte – insbesondere im Agrarbereich – konkurrenzfähig zu machen. Die EU wendet diese Zölle selbst aber weiterhin an, so gegenüber China, um die heimische Photozellenproduktion konkurrenzfähig zu halten, um nur ein Beispiel zu nennen.
Durch diese Freihandelsabkommen mit Afrika werden dort die Säulen der einheimischen Wirtschaft zerstört, insbesondere die Landwirtschaft aber auch die eigene oft kleine Industrieproduktion. Wie sich das konkret auswirkt, möchte ich einmal aufzeigen. Hochsubventionierte europäische agrarische Überschussprodukte überschwemmen den afrikanischen Markt: Milchpulver, Hähnchenteile, Schweinefleisch, Tomatenmark. Durch deren Niedrigpreise werden die heimischen Produzenten aus dem Markt gedrängt.
So hat sich der Import von subventioniertem Schweinefleisch aus der EU nach der Elfenbeinküste in den letzten zehn Jahren versechsfacht. Die heimische Produktion ist tot.
2014 wurden allein in Westafrika 300.000 Tonnen subventionierte Hähnchenteile aus der EU – übrigens hauptsächlich aus Deutschland – importiert. Dabei erhalten die europäischen Erzeuger bis zu 30 Cent pro Kilo an Subventionen.
Durch die europäische Subventionspolitik wird die Produktion dieser Überschüsse noch angeheizt und somit ständig gesteigert. Neue Absatzmärkte sind ja in Afrika vorhanden und müssen noch ausgebaut werden.
Aber es geht noch weiter:
Subventionierte europäische Fabrikschiffe fischen die Meere vor der westafrikanischen Küste leer und treiben die heimischen Fischer in den Ruin. Somit geht z. B. Senegal eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel und Exportgüter verloren.
Seit neuestem gibt es eine andere Variante: „Cash for fish“. Gegen Geld dürfen europäische Trawler vor Westafrika rund 200 Tonnen Fisch am Tag fangen und verarbeiten. Die Fischbestände sind inzwischen so geplündert, dass tausende Fischer und Beschäftigte in der Weiterverarbeitung arbeitslos sind.
Manche Fischer haben in ihrer Not andere Geschäftswege entdeckt. Ihre Fischerboote transportieren gegen Geld Landsleute, die verzweifelt ihr Land verlassen wollen. Wer kann es ihnen verdenken.
Ein weiteres Feld sind die in Europa gesammelten Kleiderspenden. Diese werden kubikmeterweise in Afrika an Händler verkauft, die die Klamotten einzeln verhökern. Sie zerstören durch ihre geringen Preise die afrikanische Textilproduktion. Waren in den 1980er Jahren in Kenia noch rund 500.000 Menschen in der Textilindustrie beschäftigt, damals gab es Einfurhzölle für ausländische Textilien, sind es heute nur noch etwa 20.000.
Neben diesen Hauptursachen der Migration aus den afrikanischen Ländern kommt als weiteres die sich immer stärker abzeichnenden Auswirkungen des Klimawandels. Dadurch breiten sich die afrikanischen Wüstengebiete immer weiter nach Süden aus. Durch Dürren geht immer mehr landwirtschaftliche Fläche verloren. Die Nomaden werden mit ihren Herden immer weiter nach Süden getrieben und kommen zwangsweise in Konflikt mit den Agrarbetrieben. Das führt zu Stammesauseinandersetzungen aber auch zur Aufgabe des Nomadenseins. Einziger Ausweg ist immer öfter die Flucht nach Europa.
Um einmal das Problem des Klimawandels, der ja auch den Meeresspiegel steigen lässt, zu verdeutlichen, möchte ich den Präsidenten der Malediven zitieren: „Ich weiß, dass wir Malediver, die auf 1.196 Inseln auf 26 Atollen leben, aufgrund des steigenden Meeresspiegels in einigen Jahrzehnten nicht mehr da sein werden.“ Er sammelt deshalb auf einem Treuhandkonto die Einnahmen aus dem Tourismus, um in unbedrohten Ländern Gebiete für die komplette Umsiedlung seines Staatsvolkes zu erwerben.
Eine weitere gerade in den letzten Jahren zunehmende Gefahr für die afrikanische Bevölkerung ist das sogenannte „Land grabbing“. In den letzten zehn Jahren wurden in Afrika rund 200 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Fläche internationalen Konzernen oder auch Ländern wie China oder Saudiarabien überlassen. Das ist eine Fläche, die sechs Mal so groß ist wie Deutschland.
Was wird da nun angebaut?
Zum einen Mais und Palmölpflanzen als Exportgut für die europäische, chinesische und amerikanische Energieversorgung. So müssen durch die kürzlich beschlossene Beimischungsverordnung in der EU Benzin und Diesel bis zu sieben Prozent Agrartreibstoff zugesetzt werden. Internationale Ölkonzerne kaufen ganze Ländereien auf und vertreiben die Kleinbauern.
Wegen der steigenden Fleischproduktion in Europa kaufen internationale Konzerne riesige Flächen auf, um Futtermittel anzubauen. All diese Agrarbetriebe dieser Konzerne sind äußerst personalarm. Sie werden von ein paar Spezialisten mit einem riesigen Maschinenpark betrieben und beuten die wenigen Wasservorräte aus. Arbeitsplätze für die heimische vertriebene Bevölkerung sind nur marginal geschaffen worden.
Seit 2008/09 wuchs das Interesse von Banken und Investmentfonds, in Entwicklungsländern billig Grund und Boden zu erwerben, um damit zu spekulieren.
Die Folge dieses „Land-Grabbing“ ist, dass es vor zehn Jahren nur 30 Länder gab, die Lebensmittel importieren mussten. Heute sind es rund 100! Übrigens Deutschland ist Lebensmittelexporteur.
Wir wissen, dass zur Zeit ein Fünftel der afrikanischen Flüchtlinge nach Deutschland kommen, Tendenz steigend.
Ich prophezeie, dass, wenn sich an den wirklichen Ursachen nichts ändert, die Flüchtlingszahl aus Afrika bald im zweistelligen Millionenbereich liegen wird. Flüchtlinge, die hauptsächlich nach Europa streben. Da helfen keine Zäune, da helfen keine Lager in Afrika, da hilft keine Aufrüstung der Grenzländer, da helfen keine Truppenstationierung an den Grenzen. Das einzige, was dadurch bewirkt wird, ist, dass sich die Zahl der toten Flüchtlinge immens erhöhen wird. Wenn wir das wollen, müssen wir so weitermachen wie bisher.
Nein, es muss eine vollkommen andere Handelspolitik gegenüber Afrika her. Das heißt ein Umsteuern der bisherigen Politik. Noch ist es nicht zu spät!
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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