Bilz-Stiftung

Bilz-Preis 2013

Bilz-Preisverleihung am 13. Dezember 2013

Preisträger

Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Köln-Wolgograd e.V.

Laudator

Fritz Pleitgen

Presse

Laudatio von Fritz Pleitgen

Meine Damen und Herren, lieber Herr Bilz, lieber Herr Jung, lieber Herr Völker,

ich freue mich über die Auszeichnung des Vereins zur Förderung der Städtepartnerschaft Köln-Wolgograd. Die Städtepartnerschaft Köln-Wolgograd ist etwas Besonderes. Ihre Förderung verdient Anerkennung, im allgemeinen Interesse. Warum? Dazu möchte ich etwas ausholen.

Die Beziehungen zwischen Deutschen und Russen währen nun schon gut tausend Jahren. Sie erlebten gute und schlechte Zeiten. Nirgends und nie sind sie so auf die Probe gestellt worden wie in dem grausamen Winter von 1942/ 1943. Nie und nirgends haben sich Deutsche und Russen so erbittert, so brutal, so verzweifelt bekämpft wie im damaligen Stalingrad, das heute Wolgograd heißt.

Als die Schlacht, das fürchterliche Schlachten vorbei war, da hatten auf beiden Seiten nicht nur Hunderttausende ihr Leben verloren, da waren nicht nur Hunderttausende körperlich und seelisch verkrüppelt, da war nicht nur eine Großstadt zu einer nach Verwesung stinkenden Ruinenlandschaft geworden, da war nicht nur die Wende im Zweiten Weltkrieg eingetreten, da schien es auf alle Zeiten unmöglich zu sein, dass Deutsche und Russen noch einmal friedlich und freundschaftlich zusammenkommen könnten.

Doch die scheinbar unheilbaren Wunden schlossen sich weit schneller als erwartet werden konnte. Vergessen ist nicht, was geschehen ist, aber es wurde mehr und mehr zur Mahnung, derartige Entwicklungen nie wieder eintreten zu lassen. Vor allem auf russischer Seite ist in diesen Prozess viel Großherzigkeit investiert worden. Selbst Stalin hat dazu beigetragen, in dem seine Propaganda zwischen Deutschen und Faschisten unterschied. „Die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk bleibt“, hieß einer der Sprüche des ansonsten fürchterlichen Diktators.

Gut, der Lauf der Zeitgeschichte hat ganz wesentlich bewirkt, dass die Deutschen nach der bedingungslosen Kapitulation in der zweigeteilten Welt auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs gebraucht wurden und auf diese Weise schnell wieder internationale Anerkennung fanden.

Sie haben mich vermutlich als Redner eingeladen, weil ich als Korrespondent in Moskau gearbeitet habe. Von meinen persönlichen Erfahrungen will ich Ihnen gerne erzählen. Stalingrad war mir natürlich schon ein Begriff, bevor ich in die Sowjetunion ging. Als es in der Bundesrepublik Deutschland um die Aufarbeitung der Nazi-Zeit und des Zweiten Weltkriegs ging, spielte Stalingrad als Schlüsselereignis eine herausragende Rolle. Es erschien, als ob sich in der Schlacht um diese Stadt die beiden Diktatoren Hitler und Stalin zum Kräftemessen persönlich gegenüber getreten wären, was vielen Menschen das Leben kosten sollte.

In Zeitungen, Büchern und Filmen lebte das schreckliche Geschehen an der Wolga immer wieder auf. In Deutschland als Tragödie, in der Sowjetunion als Triumph des Willens. Ich selbst war zur Gedenkfeier am 30. Jahrestag Ende Januar/ Anfang Februar 1973 mit einem russischen Kamerateam in die Stadt gereist, die für die sowjetischen Veteranen immer noch Stalingrad war, obwohl sie nach Chruschtschows Abrechnung mit Stalins Verbrechen bereits Anfang der 60er Jahre in Wolgograd umbenannt worden war.

Mein Kameramann Boris hatte in Stalingrad gekämpft. Er empfand keinen Hass gegenüber den Deutschen. Vor dem Krieg hatte er eine hohe Meinung über sie. Als er sie in Stalingrad als Geschlagene erlebte, war er peinlich berührt über ihren abgerissenen, erniedrigten Zustand. Vor der Stalingrad-Reise war ich in Sibirien gewesen. Warm gekleidet hatte ich 55 Grad Minus gut ausgehalten. Nun stand ich in gleicher Kleidung auf dem Mamajew-Hügel. Wir hatten 25 Grad minus. Von der Steppe wehte über die Wolga ein nasskalter Wind. Trotz Fellmütze, dicken Stiefeln und Lammfellmantel begann ich sehr bald zu frieren.

Wie muss es den Soldaten ergangen sein, die zum Teil in Sommer-Uniformen, ohne Handschuhe, ohne Schlaf, völlig unterernährt in Erdlöchern unter ständigem Beschuss um ihr Leben kämpften? Marschall Tschuikow, der eisenharte Verteidiger von Stalingrad, zeigte sich mir gegenüber großmütig. Die Deutschen seien hervorragende Soldaten gewesen, sagte er mir, wohl auch um das Licht der Roten Armee in einem noch helleren Licht erstrahlen lassen.

Was mich bewegte, war die Freundlichkeit, die mir überall in Wolgograd begegnete. Bereitwillig erzählte mir einer der Verteidiger der Grudinin-Mühle von den wochenlangen Kämpfen Mann gegen Mann zwischen den Linien. Natürlich seien sie damals hasserfüllt gewesen, aber das dürfe jetzt nicht mehr gelten. Alles sei daran zu setzen, in Frieden und Freundschaft miteinander zu leben.

Aber als ich fragte, warum es in Wolgograd keine Gräber für deutsche Soldaten gäbe, stieß ich auf entschlossene Ablehnung. „Wie können wir den Mördern unserer Menschen auch noch Friedhöfe einrichten?“ bekam ich zu hören. Diese Einstellung ist gottlob Vergangenheit. Wie ich den Reiseberichten des Fördervereins entnehme, ist den deutschen Gefallenen inzwischen auch in Wolgograd die letzte Ehre erwiesen worden. Sie ruhen, sofern ihre sterblichen Überreste gefunden wurden, auf einem offiziellen Friedhof.

Der Schriftsteller und Humanist Lew Kopelew hat den Begriff der „Volksdiplomatie“ geprägt. Was meinte er damit? Nach Kopelews Vorstellung bedürfen gute und aufrichtige Beziehungen zwischen den Völkern vor allem vieler menschlicher Begegnungen. In dieser Hinsicht hat sich der Förderverein Städtepartnerschaft Köln/ Wolgograd zu einem Vorbild der „Volksdiplomatie“ entwickelt.

Nur elf Monate nach der offiziellen Aufnahme der Städtepartnerschaft Köln/ Wolgograd im Schicksalsjahr 1989 gegründet hat die Initiative einiger weitsichtiger Menschen zu intensiven Beziehungen von Mensch zu Mensch, von Gruppe zu Gruppe geführt. Wenn man die Chronik der Jahre seit der Gründung liest, dann staunt man darüber, zu welch vielfältigen Aktivitäten es zwischen Köln und Wolgograd gekommen ist.

Getragen werden sie vom Geist der Aussöhnung, der Solidarität und der Lernbereitschaft. Eine wichtige Triebfeder war dabei das Bemühen der Kölner Projektgruppe Messelager, sich um das Schicksal von ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern aus der Sowjetunion kümmern, die während des Zweiten Weltkriegs unter unsäglichen Bedingungen Fronarbeit in Köln leisten mussten.

Die Projektgruppe Messelager wurde tätig, weit bevor die offiziellen Entschädigungsverhandlungen aufgenommen wurden. Es kam zu bewegenden Begegnungen. Viel Hilfe wurde geleistet. Die Unterstützung war auch nötig, denn in der Sowjetunion wurden die bedauernswerten Zwangsarbeiter wie Verfemte behandelt, weil sie sich zeitweise, wenn auch völlig unfreiwillig, auf der Seite des Feindes befunden hatten. Immerhin haben die vom Schicksal schwer geschlagenen Menschen nach vielen Jahrzehnten durch private finanzielle und materielle Spenden aus Köln spürbare Unterstützung erhalten, die später durch offizielle Entschädigungen der Bundesrepublik Deutschland ergänzt wurde.

Damit war aber nicht Schluss. Es gelang dem Kölner Förderverein, weitere Geldgeber zu gewinnen und die Stadt Köln an zusätzlicher Ko-Finanzierung zu beteiligen. In der Mitteilung 29 des Fördervereins liest sich sehr sachlich, was für die Betroffenen zu einer großen Hilfe wurde. 1. Medizinische Betreuung, 2. Soziale Betreuung, 3. Ehrenamtlicher Besuchsdienst, 4. Telefonanschlüsse, 5. Organisations- und Personalfragen. Seit Februar 2003 sind insgesamt sechs Sozialbetreuerinnen, ein Arzt und eine Ärztin beschäftigt, wodurch die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in allen acht Stadtteilen von Wolgograd betreut werden konnten und können. Ich erwähne dies ausdrücklich, weil Anstrengungen dieser Nächstenliebe eine enorme emotionale Wirkung haben, auch langfristig.

Ein solches Friedenswerk braucht langen Atem. Wenn man auf den Beginn zurückblickt, dann wird einem bewusst, wie viel erreicht wurde. Während die einfachen Menschen in Wolgograd von Anfang an mit großer Herzlichkeit ihren deutschen Partnern entgegentraten, taten sich die Offiziellen zunächst noch sehr schwer. Beim offiziellen Festakt zur 50 Jahrfeier der Schlacht von Stalingrad wollten sie Gäste aus dem Land der Aggressoren noch nicht dabei haben. Das war 1993. Aber immerhin wurde ein Köln-Raum in der Universität von Wolgograd eingerichtet. Im Gegenzug wurde das literarische Werk von dem in Russland hoch verehrten Heinrich Böll dankbar entgegen genommen.

Von da an vertiefte sich die Partnerschaft mehr und mehr zu vielfältiger Freundschaft. Dazu trug wesentlich die Einrichtung des deutsch/ russischen Soldatenfriedhofs Rossoschka bei. In Gruppen und einzeln machten sich Russen und Deutsche wechselseitig auf den Weg, um die Partnerstadt auf der anderen Seite zu besuchen, meist in 69stündigen Bahnreisen

Was verbindet nun Köln und Wolgograd miteinander? Beide Städte haben gemeinsam, dass sie an den größten Flüssen ihrer Länder liegen. Es sind überdies Flüsse, die einerseits für die deutsche und andererseits für die russische Bevölkerung eine mystische Bedeutung haben. Köln acht sich an Vater Rhein breit und Wolgograd an Mütterchen Wolga. Beide Städte haben unter dem Krieg sehr gelitten und beide sind wieder zu wichtigen Metropolen ihrer Regionen auferstanden.

Ich kann hier nicht alle Aktivitäten des Fördervereins aufzählen, sondern nur beispielhaft die eine oder andere erwähnen. So hatte die Arbeitsgruppe Frieden angeregt, 50 Briefe aus Wolgograd mit Erinnerungen an die grauenhafte Kriegszeit zu einer szenischen Lesung zu verarbeiten. Dies geschah im Theater am Sachsenring, geleitet von Direktor Joe Knipp, unter dem Titel „… und die Wolga brannte“. Die Schilderungen von russischer Seite sind dem Publikum hier in Köln tief unter die Haut gegangen. Bislang hatte man ja nur von den Leiden der deutschen Soldaten gehört.

Aus diesem Projekt entstand eine Dokumentation in Buchform, die in russisch und deutsch rechtzeitig zum 60. Jahrestag des Endes der Schlacht um Stalingrad erschien. Nicht nur in Wort, sondern auch in Bild und Musik wurde die Städtepartnerschaft eindrucksvoll gepflegt, und zwar in Foto-Ausstellungen in Wolgograd, die beim Publikum sehr gut ankamen, ebenso wie die Konzertreise des KölnChors nach Wolgograd.

Zunächst waren es vor allem die Initiativen des Kölner Fördervereins, die die Städtepartnerschaft mit Leben erfüllten. 1999 – von Kölner Seite behutsam, aber beharrlich angeregt – entstand ein Wolgograder Partnerverein. Das hatte sehr schnell positive Folgen. An der Wolga wurde ein überaus gelungenes deutsch/ russisches Sommerfest veranstaltet, dem sich – noch etwas offizieller – „Deutsche Tage in Wolgograd“ – anschlossen.

Da ich noch ein paar grundsätzliche Bemerkungen machen möchte, komme ich zum Schluss meiner lobenden Aufzählung, die – ich gebe es zu – nur bruchstückhaft ist. Es ist gottlob noch viel mehr in Gang gesetzt worden. Ich gratuliere dem Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Köln/ Wolgograd, mit seinem überaus aktiven Vorsitzenden Werner Völker an der Spitze.

Mit dem Glückwunsch verbinde ich die dringende Bitte an den Förderverein und seinen Vorsitzenden, mit dem Engagement nicht nachzulassen. Mit einiger Besorgnis beobachte ich, dass Russland in unserem Land wieder sehr kritisch, wenn nicht gar ablehnend beurteilt wird. Die berechtigte Kritik an den Menschenrechtsverletzungen sowie an den Gesetzen gegen Homosexuelle und die Tätigkeit von ausländischen Einrichtungen in Russland lässt bei uns wieder alte Vorurteile aufblühen, die zum Teil ihre Wurzeln noch in der Nazi- und auch Nachkriegszeit haben.

Es wird allgemein von d e n Russen gesprochen, denen man angeblich nicht über den Weg trauen kann und die uns als der strahlenden westlichen Welt das internationale Leben nur schwer machen. Wenn irgendwo auf dem Globus etwas schief läuft, dann werden gerne d i e Russen als die Schuldigen ausgemacht. Beispiel Iran, Beispiel Syrien oder jetzt aktuell die Ukraine. Die eigenen Fehler werden dabei übersehen.

Sicherheitsinteressen haben für alle Staaten eine große Bedeutung. Dies gilt für uns (wir haben deshalb nicht nur eine eigene Armee, sondern sind auch noch Mitglied der Nato) wie für Russland. Wenn die Nato einen Raketen-Abwehrschild in Polen aufbauen will, dann ist es durchaus naheliegend, dass Russland darin eine strategische Maßnahme gegen sich sieht. Wir würden ähnlich reagieren, wenn man uns einen solchen Raketen-Abwehrschild vor die Haustür setzte.

Wenn die EU äußerst offensiv der Ukraine ein Assoziierungsabkommen anbietet und damit dieses große Land auf die Westseite zieht, dann lässt sich durchaus nachvollziehen, dass Moskau für ein solches Vorhaben wenig Begeisterung aufbringt. Die Ukraine war Jahrhunderte lang Teil des Zarenreiches und der Sowjetunion. Daher rührt auch, dass auf der Krim, also auf ukrainischem Territorium die russische Schwarzmeerflotte stationiert ist. Allein schon aus diesen Gründen hat die Ukraine für Russland eine überragende Bedeutung.

Wenn in der Ukraine Hunderttausende auf die Straße gehen und dabei persönlich viel riskieren, um für die Annäherung an die Europäische Union sowie gegen Korruption und wirtschaftliches wie auch soziales Versagen zu demonstrieren, dann verdient das Respekt und auch Unterstützung. Aber warum begibt sich die EU mit dem Assoziierungsabkommen in einen kritischen Wettbewerb mit Russland? Hätte man daraus nicht ein vorbildliches gemeinsames Projekt mit Moskau machen können, das der Ukraine wirtschaftliche Vorteile in beide Richtungen verschafft hätte?

Aber es gibt auch gute Entwicklungen. In Russland genießt Deutschland von allen großen Nationen den besten Ruf. Nach Stalingrad 1942/ 1943 hätte das kein Mensch für möglich gehalten. Der Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Köln/ Wolgograd hat zu dieser unglaublich positiven Entwicklung bescheiden, aber effektiv beigetragen.

Dazu noch einmal mein Glückwunsch und mein Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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