Bilz-Preisverleihung am 8. Dezember 2019
Preisträger
Laudator
Jürgen Becker
Begrüßungsrede von Fritz Bilz
Begrüßungsrede zur Bilz-Preisverleihung am 8. Dezember 2019 von Fritz Bilz
Sehr geehrte Damen und Herren,
lieber Harald Müller, liebe Schülerinnen und Schüler,
lieber Werner Jung,
lieber Jürgen Becker,
dass heute die Gruppe M.I.X. den Bilz-Preis 2019 bekommt, hat auch damit zu tun, dass sich Harald Müller um Schülerinnen und Schüler einer vernachlässigten Schulform – der Hauptschule – widmet. Diese Schulform verdient unser besonderes Augenmerk in Betrachtung eines immer mehr verkommenen Bildungssystems. Einem Bildungssystem, das einer so hoch entwickelten Gesellschaft nicht würdig, ja sogar eine Schande ist. Wenn Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre die Lerninhalte bestimmen, geht der Mensch zu Grunde. Inzwischen stellen Unternehmen – VW, Daimler, Bertelsmann – schon die Unterrichtsmaterialien für die Schulen. Ihnen nahestehende Stiftungen bieten Lehrerfortbildungen an, schreiben Schülerwettbewerbe aus. Sie wissen schon, warum. „Die Firmen wollen ihr Image aufbessern, von ihnen zurechtgebogenes Personal rekrutieren, neue Kunden gewinnen und insbesondere arbeitgeberfreundliche Weltbilder propagieren.“ Dieses Zitat stammt nicht aus einer linken Postille sondern aus dem Kölner Stadt-Anzeiger vom 16. November dieses Jahres aus einem Gastbeitrag des Didaktikprofessors Tim Engartner von der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
In der Schule geht es mehr um Exeltabellen als um menschliche Werte. Es geht um Erfüllung von Kriterien, das richtige Kästchen anzukreuzen und weniger um den Menschen als Individuum mit seinen Nöten und dem, was er selbst mitbringt.
Hier müsste doch gefragt werden, wo sind die Stärken, die positiv zu unterstützen sind und wo sind die Schwächen, um einen persönlichen Förderungsbedarf herauszuarbeiten. Aber das geschieht nicht. Stattdessen werden die Förderkurse abgebaut, die Gelder dafür gestrichen. Das ist ein gesellschaftliches Problem. Die Menschen müssen immer mehr verwertbar werden im Sinne des Kapitals, des Unternehmertums. Sie müssen funktionieren wie ein Rädchen im System.
Dabei ist jedes Hinterfragen, auch die Solidarität, auch die soziale Kompetenz, das Denken an andere, das gemeinsame Handeln um Missstände abzustellen, hinderlich. Das wirkt sich insbesondere auf den Unterricht aus.
Dann fallen eben welche durch den Rost. Erst aus dem Gymnasium in die Realschule, dann von der Realschule in die Hauptschule. Die hat dann den „Bodensatz“. Kurioserweise sind ja die meisten Hauptschulen in Gegenden mit sozialem Förderbedarf, nicht in den Villenvierteln. Das wäre denen ja auch zu laut.
Und die durch den Rost fallen, da hat die Gesellschaft sich drum zu kümmern. Und es werden immer mehr, wie die jüngste Pisastudie zeigt, die gerade einmal vor fünf Tagen der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Bei den Kindern aus Akademikerfamilien ist der Anteil der Schüler mit hoher Lesekompetenz von neun auf elf Prozent gestiegen. Die mit schwacher Lesekompetenz von 19 auf 21 Prozent gestiegen, bei Kindern aus den gering verdienenden Bevölkerungsschichten.
Aber permanent werden die Gelder gerade für solche Maßnahmen gekürzt, die sich um solche Menschen kümmern. Stattdessen wird von Exzellenzinitiativen und Spitzenförderung geschwafelt.
Zu dieser ganzen Problematik kommen noch die Inklusion und der hohe Anteil an Migranten und Geflüchteten hinzu.
Lehrerinnen und Lehrer werden mit den Kindern, die irgendein Handicap haben, alleingelassen. Man hat diese Schülerinnen und Schüler richtigerweise aus den Förderschulen herausgeholt, um sie in Normalklassen zu integrieren. Das funktioniert aber nur, wenn diese Klassen mindestens mit Lehrern doppelt besetzt sind. Stattdessen werden die wenigen Doppelbesetzungen noch abgebaut. Ein Skandal!
Durch die verschiedenen Herkunftsländer von geflüchteten Kindern kommt noch die unterschiedliche Sprachkompetenz der Schülerinnen und Schüler hinzu. Meine Frau und ich wissen, wovon wir reden. Seit fünf Jahren unterrichtet meine Frau freiwillig und unentgeltlich Kinder von Geflüchteten in der Gemeinschaftsgrundschule Köln-Brück. Das muss sie auch deswegen, weil die Sprachförderung permanent zurückgefahren wurde. Die Sprachlosen bleiben somit weiter sprachlos, auch weil das Schulsystem darauf ausgerichtet ist, herauszufinden, was sie nicht können, anstatt darauf aufzubauen, was sie können.
Diese Kinder und Hauptschüler werden beide als Problemfälle betrachtet.
Wenn man aber mit diesen Kindern arbeitet, sie kennenlernt und sie ernst nimmt, wird man bald merken, dass diese Kinder uns auch bereichern. Bereichern mit ihrer Kultur, ob Musik, Kunst, Literatur, ihren Gewürzen und Rezepten.
Allein, Du musste Deutsch lernen, reicht nicht, um diesen Menschen das Gefühl zu geben, dass sie bei uns zu Hause sind. Dazu gehört mehr. Alle meinen zwar, sie müssten nur perfekt Deutsch können, dann wären alle Probleme gelöst. Ein Beispiel beweist das Gegenteil: In den Banlieues von Paris, dem Umland, wohnt ein hoher Teil arabischer Jugendlicher. Sie sprechen perfekt Französisch, weil sie das hervorragende französische Schulsystem – mit école maternelle und Unterricht ab dem dritten Lebensjahr – durchlaufen haben. Und trotzdem haben die dort Probleme zu Hauf!
Nein, man muss auch ihre Sprache und Kultur wertschätzen. Auch wir müssen uns für deren Kultur öffnen und nicht nur sie für unsere.
Die Schule muss das Selbstwertgefühl des Kindes/Jugendlichen fördern, das geht nur über positive Verstärker. Man muss den jungen Menschen dazu bringen, sich selbst als wertvoll zu betrachten, sich selbst zu lieben.
„Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ müsste eigentlich heißen: „Liebe Dich selbst, dann kannst Du auch den Nächsten lieben!“
Eine demokratische – oder besser gesagt – eine sich demokratisch nennende Gesellschaft – darauf sind wir stolz in Abgrenzung gegenüber totalitären Gesellschaften – misst sich daran, wie sie mit den Schwächsten der Gesellschaft umgeht.
Her mit den besten Lehrerinnen und Lehrern für die Schwächsten!
Wie sagte schon Wilfried Schmickler bei den letzten Mitternachtsspitzen:
„Wenn wir das nicht machen, fliegt uns bald der ganze Laden um die Ohren!“
Besser könnte ich es auch nicht formulieren.
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