Bilz-Preisverleihung am 23. November 1999
Preisträger
Laudator
Laudatio von Anke Fuchs
Laudatio zur Bilz-Preisverleihung am 23. November 1999 von Anke Fuchs
Sehr geehrte Damen und Herren,
in diesem Jahr wird zum ersten Mal der Bilz-Preis verliehen. Diese Auszeichnung in Höhe von 10.000 DM erhält der Unterstützerkreis für die von Abschiebung bedrohten Kinder und Jugendlichen e. V. aus Köln.
Den Anstoß für die Gründung einer Bürgerinitiative gaben Jugendliche, die in den Jahren 1990 und 1991 ihre Lehrerinnen und Lehrer darüber informierten, dass sie von den Behörden aufgefordert wurden, die Bundesrepublik zu verlassen. Diese Pädagogen bildeten den Gründungskern des Unterstützerkreises. Sie sammelten ähnliche Fälle und trugen ihre Bedenken gegen die drohende Ausweisung dieser Jugendlichen den kommunalen Behörden, aber auch den Politikern vor. Schließlich wandten sie sich an die Öffentlichkeit und stießen auf ein überraschend breites und positives Echo. Eine Gruppe von ähnlich denken Menschen gründeten dann 1993 diesen Unterstützerkreis.
Seit seiner Konstituierung setzt sich der Unterstützerkreis dafür ein, dass bei Entscheidungen über den Aufenthalt von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund insbesondere Aspekte des Kindeswohls berücksichtigt werden. Leider ist es bis heute eine Tatsache, dass das ausländerrechtliche Gefüge der BRD solche Aspekte nur unzureichend in die Entscheidungsfindung einbezieht. Diese Erkenntnis bildet den Ausgangspunkt und die Grundlage für die Aktivitäten des Unterstützerkreises seit seiner Gründung 1993.
Wichtig ist dem Unterstützerkreis, dass Kinder und Jugendliche nicht aus dem dauerhaften familiären Lebenszusammenhang gerissen werden. Dazu gehört auch, dass der kontinuierliche Besuch von Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen weiter gewährleistet ist.
Anfangs noch als Bürgerinitiative aktiv, wurde der Unterstützerkreis 1996 in einen gemeinnützigen Verein umgewandelt. Seit seinem Bestehen nahmen von Abschiebung bedrohte Kinder und Jugendliche sowie deren Familienangehörige die Hilfe des Unterstützerkreis in großem Umfang in Anspruch. Bald stellte sich jedoch heraus, dass die Betroffenen neben der Beratung auch Betreuung und Begleitung benötigten. Dies war eine zusätzliche Arbeit für die fast ausschließlich ehrenamtlich geführte Tätigkeit.
Während in den ersten Jahren seit Bestehen des Unterstützerkreises überwiegend Kinder und Jugendliche türkischer Herkunft Hilfe suchten, waren es in den letzten Jahren immer mehr unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und abgelehnte Asylbewerber. Sie kamen und kommen vor allem als Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien, Herzegowina und anderen Krisengebieten. Die Zahl ist inzwischen so angewachsen, dass es dem Verein nicht mehr in jedem Einzelfall möglich ist, dem selbstgesetzten Anspruch – zu beraten, zu betreuen und zu begleiten – gerecht zu werden.
An die Mitarbeiter des Vereins werden immer differenzierte Anforderungen gestellt. Während er anfangs nur mit der Aufenthaltsproblematik befasst war, kamen im Lauf der Zeit immer weitere Aufgabenfelder hinzu. Die Palette reicht von der Hilfe bei der Wohnungssuche über Kontakte zu den Ämtern, u. a. zum Arbeitsamt bis zur Vermittlung von therapeutischen Behandlungen.
Diese einzelfallbezogene Arbeit ist der eine Bereich, um den sich der Unterstützer-kreis kümmert. Hinzu kommt immer stärker, dass der Verein sich dafür einsetzt, dass in den Gesetzen und Erlassen über die Migranten das Kindeswohl berücksichtigt wird. So ist auch auf Initiative des Unterstützerkreises vom damaligen NRW-Innenminister Schnoor 1994 diese Forderung im Landtag als auch gegenüber der Bundesregierung vertreten worden. Diesem Impuls des Vereins ist es zu verdanken, dass der Bundesinnenausschuss im gleichen Jahr den Begriff des Kindeswohls in die Verwaltungsvorschriften zum Ausländergesetz aufnahm.
Auch der eindringliche Appell des Unterstützerkreises im Jahr 1996 an Politiker, Behörden und die Öffentlichkeit, dass junge bosnische Bürgerkriegsflüchtlinge die Möglichkeit erhalten müssten, ihre schulische bzw. berufliche Ausbildung in der BRD abzuschließen, blieb nicht ungehört.
Immer wieder teilen dem Unterstützerkreis von Abschiebung bedrohte Kinder und Jugendliche mit, wie sehr sie in ihren Anliegen auf die Hilfe dieser Organisation angewiesen sind. Viele Kinder und Jugendliche wären ohne diese Hilfe abgeschoben und so aus ihrem familiären Kreis gerissen worden, hätten ihre Ausbildung abbrechen müssen.
Die Mitarbeiter des Unterstützerkreises versuchten jahrelang, diese Arbeit ehrenamtlich zu bewältigen. Dies stellte sich jedoch als fast unmöglich heraus. Nach langem Bemühen erhielt der Verein im Jahr 1998 eine ABM-Stelle, die jedoch nach Ablauf eines Jahres nicht verlängert wurde. Nun ist der Verein wiederum allein auf die ehrenamtliche Arbeit angewiesen.
Für den Unterstützerkreis ist es von wesentlicher Bedeutung, den Kontakt und die Kooperation mit den zuständigen Behörden zu pflegen. Denn viele Probleme lassen sich eher im Gespräch als in der Konfrontation lösen. Dies heißt jedoch nicht, dass auf den öffentlichen Druck verzichtet wird. In besonderen Fällen muss mit diesem Mittel der Druck hergestellt werden, um konkret von Abschiebung bedrohten Kindern und Jugendlichen zu helfen. Dies zeigen nicht zuletzt die mit dieser gemeinsamen Strategie erzielten Erfolge.
Wegen seiner unermüdlichen Arbeit auf diesem Gebiet wird dem Unterstützerkreis für die von Abschiebung bedrohten Kindern und Jugendlichen e.V. in Köln der mit zehntausend Mark dotierte Bilz-Preis 1999 verliehen.
Die Begründung lautet:
Durch seinen unermüdlichen Einsatz für die von der Abschiebung aus Deutschland bedrohten jungen Menschen setzt sich der Unterstützerkreis in hervorragender Weise für den Schutz politisch, rassisch und religiös verfolgter Kinder und Jugendlicher ein. Der Unterstützerkreis leistet damit einen herausragenden Beitrag zur Völkerverständigung. Es ist dabei sein Anliegen, dass die besonderen Belange der Kinder und Jugendlichen berücksichtigt werden.
Begrüßungsrede von Fritz Bilz
Rede zur Bilz-Preisverleihung am 23. November 1999 von Fritz Bilz
Begrüßung
Sehr geehrte Frau Bundestagsvizepräsidentin, Frau Bürgermeisterin, und für den heute auszuzeichnenden Unterstützerkreis, lieber Reinhard Hocker, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,
im Namen der Bilz-Stiftung möchte ich Sie als Stiftungsvorsitzender ganz herzlich begrüßen. Ich freue mich. dass sie der Einladung zur ersten Bilz-Preisverleihung so zahlreich gefolgt sind. Besonders freue ich mich, dass auch viele ausländische Jugendliche und Erwachsene unter uns weilen. Denn die heutige Preisverleihung hat etwas mit den Migranten und den Problemen, die Deutsche ihnen bereiten, zu tun.
1. Zur Gründung der Bilz-Stiftung
Ein paar Sätze vorneweg zur Gründung der Bilz-Stiftung. Wenn man eine Stiftung gründet – und dies ist unsere erste Stiftung -, macht man so seine Erfahrungen. Verhandlungen mit der Oberfinanzdirektion, der Bezirksregierung Köln als Stiftungsaufsichtsbehörde und nicht zuletzt den Geldinstituten, denen man sein Geld anvertrauen will. Dabei wollten wir nur Geld stiften für eine – nach unserer Meinung – guten Sache. So konnten wir am eigenen Leib, wie man so schön sagt, das deutsche Stiftungsrecht kennen lernen. Nun wissen wir, dass es das stiftungsfeindlichste in Europa ist. Geärgert hat mich das Gebaren der Geldinstitute. Im Prinzip ist denen eine Stiftungsgründung und ihre Idee vollkommen gleich. Die Hauptsache ist, sie machen ihren Schnitt. Dabei unterscheiden sich auch nicht die sich als fortschrittlich gebenden Ökobanken oder Ökofonds. Ich hatte sogar den Eindruck, sie wollten sich in ihrer kapitalistischen Verhaltensweise an die Spitze der deutschen Bankenbewegung setzen. Dies nur als Randbemerkung.
- Ziel der Bilz-Stiftung
Die Idee zur Gründung einer Stiftung kamen meiner Frau Brigitte und mir, als ich völlig unerwartet beim Tode meiner Mutter im letzten Jahr rund eine halbe Million Mark erbte. Meine Mutter und auch mein zehn Jahre früher verstorbener Vater waren Arbeiter. Sie müssen sich das Geld – ohne dass ich es bemerkte – mühsam über Jahrzehnte im wahrsten Sinne des Wortes vom Munde abgespart haben.
Wir – meine Frau und ich – brauchen dieses Geld nicht. Wir haben nicht vor, uns ein zweites, drittes oder viertes Haus zu kaufen, eine Luxuskarosse anzuschaffen oder sonst unseren Lebensstandard zu erhöhen. Und im übrigen gilt, „Geld kann man nicht essen“.
So kam uns sehr schnell die Idee, unsere gesellschaftspolitischen und sozialen Ziele in Form einer Stiftung zu verwirklichen, Menschen und Initiativen zu unterstützen, die sich für Völkerverständigung, gegen die Unterdrückung von Minderheiten und für von Verfolgung bedrohte Menschen einsetzen. Deshalb wurde der Bilz-Preis ins Leben gerufen, der aus den Kapitalerträgen der Stiftung Initiativen mit o.g. Zielen unterstützt oder initiiert.
Der Stiftungsvorstand besteht aus Personen, die diese Intention teilen: Neben meiner Frau Brigitte und mir Konny Gilges, DGB-Kreisvorsitzender von Köln, Leverkusen und Erft, Willi Hanspach, der uns schon lange auf diesem Weg begleitet und Professor Horst Matzerath, der Direktor des NS-Dokumentations-zentrums Köln, Hausherr des Gebäudes, in dem wir uns heute befinden.
- Ort der ersten Verleihung
Das EL-DE-Haus, in dem das NS-Dokumentationszentrum angesiedelt ist, wurde als Veranstaltungsort mit Bedacht gewählt. Seine Geschichte und ihre Aufarbeitung hat etwas mit den Zielen der Bilz-Stiftung aber auch mit dem ersten Preisträger unter der Federführung von Reinhard Hocker zu tun, der sich vor über 20 Jahren mit darum bemüht hat, dass hier ein NS-Dokumentationszentrum entstanden ist.
Von 1934 bis 1945 war in diesem Haus die Gestapo-Zentrale von Köln. In den Kellern sind Zellen, in denen Juden, Sinti und Roma, Andersdenkende, Zwangsarbeiter unter unmenschlichen Bedingungen zusammengepfercht waren. Sie wurden verhört, gefoltert, ermordet. Insbesondere in den letzten Kriegsjahren waren es vornehmlich Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Ausländer, die von Deutschen aus ihrem Land vertrieben, verschleppt, zur Zwangsarbeit gezwungen wurden.
Über 30 Jahre hat sich die Stadt Köln dagegen gewehrt, dass nach dem Kriegsende die Folterkeller zugänglich, die Geschichte des Hauses öffentlich gemacht, ein Dokumentationszentrum errichtet wurden. Der seit den sechziger Jahren dafür kämpfte – Sammy Maedge – wurde zusammengeschlagen, verhaftet mit Verfahren überzogen, auch im Namen der Stadt Köln.
- Heutiger Umgang mit Migranten
Im Wissen dieser unserer Geschichte betrachten wir einmal heute, wie wir mit Ausländern, Asylsuchenden, Migranten umgehen. Prägt nicht immer noch Rassenwahn und von Überheblichkeit verdeckter Mangel an Toleranz das Denken unseres Landes, wie Günter Grass 1997 in seiner Laudatio für den Friedenspreisträger Yasar Kemal feststellte.
„Spricht nicht der in Deutschland latente Fremdenhass, bürokratisch verklausuliert, aus der gegenwärtigen Abschiebepraxis des gegenwärtigen Innenministers?“ fragt Grass weiter. Noch im Juli diesen Jahres unterstrich der jetzige Nobelpreisträger seine damalige Kritik und äußerte seine Enttäuschung, dass sich die Haltung der Bundesregierung trotz Regierungswechsels nicht geändert habe.
Während ein Repräsentant der alten Bundesregierung vor der „Durchrassung des deutschen Volkes“ gewarnt hat, hört sich das bei Schily scheinbar moderater an. Im Dezember vorigen Jahres sagte er: „Die Belastungsgrenze ist überschritten“. Vor anderthalb Monaten war von ihm zu hören, nur drei Prozent von den 100.000 Asylbewerbern seien überhaupt „asylwürdig“. Die Restlichen seien „Wirtschafts-flüchtlinge“. Ganz abgesehen davon, dass wir letztes Jahr und auch in diesem Jahr die niedrigste Zahl von Asylbewerbern in den letzten zehn Jahren hatten und der Prozentsatz der Anerkannten deutlich höher als bei drei Prozent liegt, ist denn „Wirtschaftsflüchtling“ etwas Kriminelles? Bei dem Begriff „asylwürdig“ stellten sich bei mir die Nackenhaare hoch. 97 Prozent sind nach Schilys Meinung „asylunwürdig“. Ich kann mir nicht helfen, dabei kommen mir Assoziationen zu dem vor über 60 Jahren benutzten Begriff „unwertes Leben“ in den Sinn.
Die Minister, die Parteien, die Behörden und die Mehrheit der Deutschen wollen diese Menschen nicht im Land haben. Mit mehr oder weniger gesetzten Worten artikulieren sie dann ihre Position.
Der Stammtisch setzt dies dann um:
– im oberbayrischen Kolbermoor
– in Solingen
– in Rostock
– in Hoyerswerda.
Haben wir uns eigentlich einmal ernsthaft gefragt, warum diese Menschen insbesondere aus den Krisengebieten zu uns kamen. Warum kamen und kommen denn Kurden zu uns?
Weil ein barbarischer Bürgerkrieg auch mit deutschen Waffen auf dem Rücken des kurdischen Volks betrieben wird. Wir sind somit Mittäter an den Gräueltaten gegenüber dem kurdischen Volk. 1990 wurden Panzer und Militärfahrzeuge aus den alten NVA-Beständen an die Türkei geliefert. Das Versprechen der türkischen Regierung, diese Waffen nicht gegen die Kurden einzusetzen, war eine Lüge, wie wir heute zuverlässig wissen. Dann geht die neue Bundesregierung hin und liefert den Leopard II als Testpanzer. Es wird wieder das gleiche Versprechen der türkischen Regierung gegeben, außerdem sei der Panzer nicht im Gebirge einsetzbar. Kurios ist, dass der Hersteller gerade mit dessen Tauglichkeit auch im gebirgigen Gelände wirbt.
Ein zweites Beispiel: In Jugoslawien wurden schon vor knapp 60 Jahren mit deutschen Waffen Hunderttausende von Menschen umgebracht. Wenn dann Bürgermeisterin Canisius bei der Eröffnung der Wehrmachtsausstellung in Köln davon sprach, dass „die Deutschen helfen, eine Schneise für den Frieden in Jugoslawien zu bomben“, kann man nur über soviel Unkenntnis geschichtlicher Zusammenhänge, Dummheit oder Stammtischgerede den Kopf schütteln.
Heute hat Milosevic auch mit deutschen Waffen seine ethnischen Vertreibungen und Morde gegenüber Bosniern, Kroaten und Kosovaren führen können. Auch mit deutschen Waffen führt die UCK rassische Entvölkerungspolitik gegenüber den Serben und Roma unter den Augen der NATO durch.
Wir nehmen teil an diesem schmutzigen Geschäft, das noch mit dem Totschlagargument begründet wird, damit würden Arbeitsplätze geschaffen. Mit dem gleichen Argument könnte man ja direkt Gasfabriken dorthin liefern. Die IG-Farben bestehen ja noch heute.
Das ist unsere erste Schuld, dass wir mit helfen, dass Menschen aus ihrem Land flüchten mußten, dass u. a. Kurden, Bosnier, Kroaten, Kosovaren, Serben, Roma um zeitweise Aufnahme oder Asyl bitten.
Und wie gehen wir hier mit ihnen um? Das Ausländerrecht behandelt Zuwanderer immer noch aus der Perspektive der potentiellen Gefährdung von öffentlicher Ordnung und Sicherheit. Diese Feststellung trafen 24 Professoren aus dem Bereich der Migrationsforschung im Oktober 1998, Monate nach der Bundestagswahl.
Menschen, die nichts Kriminelles gemacht haben, werden hinter Schloss und Riegel gebracht. Sie sitzen über Wochen in Abschiebehaft, um dann in die Hände ihrer Verfolger zurückgeschickt zu werden. Oft mit tödlichem Ausgang, wie wir wissen. Von 13 im Juni nach Guinea abgeschobenen Menschen sind neun verschwunden, einer von ihnen ist tot. 20 von den in der Zeit der neuen Bundesregierung abgeschobenen Kurden sind nach ihrer Abschiebung in der Türkei gefoltert worden. Über 40 Männer und Frauen haben sich seit 1993 in Gefängnissen und Abschiebeknästen erhängt, verbrannt oder in den Tod gestürzt.
Dies ist unsere zweite Schuld, wie wir mit diesen Menschen hier umgehen. Ich benutze bewusst den von Ralph Giordano geprägten Begriff für unsere Vergangen-heitsbewältigung. Die Situation für die Migranten hat sich – ich sagte dies eingangs – mit der neuen Bundesregierung nicht geändert. Dies lässt sich an zwei Beispielen verdeutlichen:
Zum einen an der sogenannten Altfallregelung. Dabei handelt es sich um eine rechtliche Absicherung von schon lange in Deutschland lebenden Flüchtlingen. Menschen, die seit zwanzig Jahren hier leben, weil sie anerkanntermaßen nicht zurückkönnen (z.B. aus der Türkei, Armenien), deren Kinder hier geboren sind, haben immer noch keinen Rechtsanspruch auf – wenn auch nur zeitweise -ein Bleiberecht. Sie bekommen nur noch einmonatige Duldungen und können danach sofort abgeschoben werden. In welcher Angst müssen diese Menschen tagtäglich leben?
Trotz Koalitionsvereinbarung tut sich hier fast nichts. Am 9. November diesen Jahres haben die Ausländerbeauftragten aller Bundesländer Otto Schily aufgefordert, endlich eine Altfallregelung auf den Weg zu bringen. Auch die evangelischen Synode vom 10. November forderte, endlich eine Altfall- und Härteregelung v.a. für Familien und Kinder sowie Opfer von Vergewaltigung und Folter vorzulegen. Nun haben gerade vor drei Tagen die Landesinnenminister zusammen mit Bundesinnenminister Schily eine Altfallregelung beschlossen, die sich nur wenig von der durch die christlich-liberale Koalition 1996 vorgelegten Regelung unterscheidet.
Schätzungen gehen davon aus, dass maximal 7.800 Menschen von den über 30.000 hier lebenden sog. Altfällen davon profitieren werden. Dabei ist die Meßlatte für die Gewährung dieser Regelung sehr hoch, wenn nicht sogar unüberwindbar. Nur wenn diese Menschen und Familien nachweisen können, dass sie für ihren Lebens-unterhalt allein aufkommen können und sie genügend Wohnraum haben, dürfen sie bleiben. Nur wie der Nachweis des eigenen Lebensunterhaltes geschehen soll, wenn diese Menschen – wie in manchen Bundesländern – überhaupt nicht arbeiten dürfen, in anderen nur wenn weder ein Deutscher noch ein Europäer diesen Job haben will, bleibt mir schleierhaft. Ganz ausgeschlossen sind von dieser Regelung Flüchtlinge aus Bosnien und Kosovo, selbst dann, wenn sie aufgrund des Erlebten schwer traumatisiert sind.
Das zweite Beispiel ist der Umgang mit der UN-Kinderrechtskonvention. 1992 hat auch die Bundesregierung dieses völkerrechtliche Abkommen unterschrieben, aber sie hat ausdrücklich den Vorbehalt formuliert: „Die Bestimmungen des Ausländer-gesetzes werden von der Konvention nicht berührt“. Das heißt, für die unter das Ausländerrecht fallenden Kinder und Jugendlichen gilt in der Bundesrepublik die UN-Kinderrechtskonvention nicht, die gerade zur Zeit in Deutschland als humanitäre Errungenschaft euphorisch gefeiert wird. Dass es dabei den Mitgliedern der Bundesregierung, die auf den Feiern reden, nicht die Schamesröte ins Gesicht treibt?
UNICEF forderte die Bundesregierung zum wiederholten Male auf – zuletzt im August diesen Jahres – den 1992 von der Kohlregierung von der UN-Kinder-rechtskonvention ausgeschlossenen Migrantenkindern endlich den Schutz dieser Konvention zu gewähren, bis heute vergebens. Auch einen entsprechenden Beschluss des Bundestages vom September diesen Jahres, die Vorbehalte gegen die UN-Kinderrechtskonvention zurückzunehmen, weigerte sich Schily bisher umzusetzen. Stattdessen fordert er zur gleichen Zeit, dass Kinder und Jugendliche in einem gesonderten Gebäude am Frankfurter Flughafen auf die Abwicklung ihres Asylverfahrens warten müssen. Für diese Einrichtung hat sich schon der Begriff „Kinderknast“ eingebürgert.
- Schlussbemerkungen
Ich möchte zum Schluss auf dieses Haus zurückkommen, wie am Anfang meiner Rede. Wir stehen hier auf den materiellen Resten eines von Ausländerhass geprägten Systems, dem damals nur wenige Menschen Widerstand entgegen-setzten, die Mehrheit teilte die Ziele oder lief mit. Dies wird noch lange auf uns – den Nachgeborenen – lasten, davon spricht uns auch nicht die Gnade der späten Geburt frei. Dies bedeutet aber auch Verpflichtung, heute besonders sensibel mit Minderheiten, Verfolgten, mit aus ihrer Heimat Vertriebenen oder Geflüchteten umzugehen.
Ein Beispiel, wie sich diese Verpflichtung in ganz konkreter Arbeit niederschlägt, gibt der „Unterstützerkreis für die von Abschiebung bedrohten Kinder und Jugendlichen e.V. Köln“. Der Stiftungsvorstand hat sich einstimmig für ihn als ersten Träger des Bilz-Preises ausgesprochen.
Frau Bundestagsvizepräsidentin, ich übergebe Ihnen das Wort für die Laudatio.
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