Bilz-Preisverleihung am 23. November 2000
Preisträger
Laudator
Laudatio von Wolfgang Niedecken
Laudatio zur Bilz-Preisverleihung am 23. November 2000 von Wolfgang Niedecken
Sehr geehrte Damen und Herren,
in diesem Jahr wird zum zweiten Mal der Bilz-Preis verliehen. Diese Auszeichnung in Höhe von 15.000 DM erhält heute der Jugendclub Courage e.V. aus Köln.
Dieser Verein entstand in den siebziger Jahren als Jugendorganisation der Deutschen Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsdienstgegner. In Köln ist er seit 1978 als freier Träger der Jugendarbeit anerkannt. Der Jugendclub arbeitet mit anderen Initiativen und Jugendverbänden zusammen und ist im Kölner Jugendring vertreten.
Seine Wurzeln hat er in der antimilitaristischen Bewegung und der Friedens-bewegung. Schwerpunkt der Arbeit bei der Gründung waren die Beratung von Kriegsdienstverweigern aber auch erste öffentliche Aktivitäten. So wurden zum Jahrestag des Bombenabwurfs auf Hiroshima jährlich Aktionen auf der Domplatte durchgeführt.
Zudem gab der Jugendclub Courage lange Jahre die antimilitaristische Zeitung „Helm ab“ heraus. Anfang der neunziger Jahre beteiligte er sich an den Kampagnen gegen den ersten Golfkrieg. Noch heute findet jeden Dienstag die Beratung von Kriegsdienstverweigerern und Zivildienstleistenden statt.
Auch Anfang der neunziger Jahre bildete sich als weiterer Arbeitsschwerpunkt die Videoarbeit mit der Produktion eigener Filme heraus. Die Videogruppe produzierte Filme zu gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und Formen der Jugendkultur, wie z. B. eine Dokumentation über den Kölner Bauwagenplatz oder die Geschichte der Sozialistischen Selbsthilfe Köln.
Parallel zur Arbeit dieser Gruppe wurde mit dem Aufbau eines Videoarchivs begonnen, das heute mit über 200 Titeln zum Thema Nationalsozialismus, Rassismus, Flüchtlingspolitik, Neofaschismus oder anspruchsvolle Unterhaltungs-filme Grundlage der Bildungsarbeit des Jugendclub ist.
Die nach der Wiedervereinigung in ganz Deutschland sprunghaft angestiegenen rassistischen und neofaschistischen Übergriffe, Naziaufmärsche in bis dahin ungekannter Größe, die unglaubliche öffentliche Hetze gegen Asylbewerber und Flüchtlinge, die zu den Angriffen in Rostock, Hoyerswerda und zu den Morden u. a. in Solingen und Mölln führten, drängten dem Jugendclub Courage die weiteren Arbeitsschwerpunkte Antirassismus und Antifaschismus auf. Dabei ist ihm besonders das Zusammenspiel von Aufarbeitung der NS-Geschichte und Thematisierung des aktuellen Rassismus und Neofaschismus wichtig.
Zu den festen Programmpunkten gehören deshalb Veranstaltungen mit Zeitzeugen, z. B. mit dem ehemaligen Widerstandskämpfer Heinz Humbach, Treffen mit Überlebenden des Holocaust, Veranstaltungen zum jüdischen Leben in Köln und Filmvorführungen zu o. g. Themen.
Im Jugendclub wurde ein umfangreiches Archiv zum Neofaschismus aufgebaut und eine Recherchegruppe ins Leben gerufen, die ihre Ergebnisse publiziert und dabei mit der Kölner Presse und dem WDR zusammenarbeitet. Aus diesem Archiv entstanden verschiedene Diavorträge zur Entwicklung des Neofaschismus in der BRD, die immer wieder an Schulen und Vereinen gezeigt werden. Unterstützt wurde damit auch die Kampagne „Weg mit dem rechten Sounddreck“, die sich gegen rechte Musikvertriebe und Nazimusik und Bands richtet, die sich inzwischen Köln zu ihrem Zentrum auserkoren haben.
Das größte Projekt im Antirassismusbereich war die Ausstellung über die Situation von Flüchtlingen in Abschiebehaft: „Ich will nicht mehr sitzen hier für Deutschland“. Diese Wanderausstellung wurde drei Jahre ohne nennenswerte Pausen in vielen Städten der BRD gezeigt.
Ein weiteres Projekt beschäftigt sich mit dem Schicksal von belarussischen Kinderhäftlingen in deutschen Konzentrationslagern. Die Arbeitsgruppe „Belarus“ des Jugendclubs gab das Buch „Dann kam die deutsche Macht – Weissrussische Kinderhäftlinge in deutschen Konzentrationslagern 1941-1945“ heraus. Das Buch enthält Interviews mit Zeitzeugen, die bei einer Reise der Arbeitsgruppe nach Weissrussland entstanden. Ein neues Projekt ist in Arbeit.
Diese Arbeit des Jugendclubs blieb nicht unbeachtet in der rechten Szene. Ende Juli 2000 wollte der sogenannte „Kampfbund Deutscher Sozialisten/Kameradschaft Köln“ – eine der militantesten und aktivsten Neonazigruppe in Köln – eine Demonstration unter dem Motto: „Jugendclub Courage dichtmachen“ vor dem Jugendclub durchführen. Diese Demo wurde von der Polizei verboten. Inzwischen sind auch telefonische Beschimpfungen und Drohungen von Neonazis keine Seltenheit mehr.
Die ganze Palette der Aktivitäten zeigt, dass zentrales Anliegen des Jugendclubs Courage die Aufarbeitung und Information über die NS-Zeit für Jugendliche ist. Außerdem setzt sich diese Institution mit dem Neofaschismus und dem Rassismus auseinander, immer mit dem Bezug auf die Arbeit mit Jugendlichen. Dies geschieht im überwiegenden Teil durch ehrenamtliche Tätigkeit.
Der Jugendclub Courage erfüllt damit in vorbildlicher Form die von der Bilz-Stiftung gesetzten Ziele:
- sich für die Völkerverständigung einzusetzen,
- sich um politisch, rassisch oder religiös Verfolgte einzusetzen und
- gegen die Diskriminierung von Minderheiten zu kämpfen.
Die Bilz-Stiftung verleiht deshalb den diesjährigen Bilz-Preis in Höhe von 15.000 DM dem Jugendclub Courage mit folgender Begründung:
„Seit über zehn Jahren klärt der Jugendclub über Rassismus und Faschismus auf. Mit seinem Programm, seinen Führungen und Seminaren wirkt er unter Kölner Jugendlichen für eine Zukunft ohne rassistische Vorurteile und für ein friedliches Zusammenleben.“
Begrüßungsrede von Fritz Bilz
Rede zur Bilz-Preisverleihung am 23. November 2000 von Fritz Bilz
Sehr geehrter Hans von Loeben – stellvertretend für den heute zu ehrenden Jugendclub Courage – lieber Wolfgang Niedecken, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,
im Namen der Bilz-Stiftung möchte ich Sie ganz herzlich begrüßen. Ich freue mich, dass Sie der Einladung so zahlreich gefolgt sind. Die zweite Bilz-Preisverleihung – diesmal an den Jugendclub Courage – findet in diesen Wochen – leider – vor einem sehr unerfreulichen Hintergrund statt.
Täglich werden wir mit ausländerfeindlichen, rechtsradikalen und neofaschistischen Vorkommnissen, Strömungen und Organisationen konfrontiert. Dass dies auch mit der Aufarbeitung der NS-Zeit zu tun hat und wie wir heute mit diesem Zeitabschnitt umgehen, zeigen nicht zuletzt die Anschläge auf jüdische Einrichtungen und Friedhöfe.
Dabei möchte ich heute einen Blick darauf werfen, wie die Kölner sowie ihre staatlichen und kommunalen Institutionen seit Kriegsende mit dieser Zeit umgegangen sind und noch umgehen. Gestatten sie mir deshalb ein paar Bemerkungen zur Historie. Im Vorfeld dieser Veranstaltung wurde ich – der sich seit über 20 Jahren mit der NS-Zeit und ihrer Aufarbeitung befasst – mit neuen erschreckenden Vorfällen konfrontiert.
Im Zuge der Vorbereitung einer historischen Radtour der Brücker Geschichts-werkstatt durch das rechtsrheinische Köln recherchierte ich über das Zwangs-arbeiterkrankenlager Gremberger Wäldchen in Köln-Vingst. Dabei stieß ich auf die erst 1998 veröffentlichte Untersuchung des Kölner Historikers Gebhard Aders über dieses Lager. Er fand im Britischen Staatsarchiv (Public Records Office) Unterlagen darüber, dass am 8. April 1945 – Palmsonntag – etwa 25 schwerkranke überwiegend sowjetische Zwangsarbeiter von Deutschen ermordet wurden. Dies geschah im Zuge des Räumungsbefehls des NSDAP-Kreisleiters Schaller, der die drohende Befreiung des Lagers durch die im Rechtsrheinischen einmarschierenden Amerikaner befürchtete. Drei namentlich bekannte junge Wehrmachtsangehörige schichteten Stroh unter die Lagerstätten der Bettlägerigen. Dann wurden die Baracken angezündet. Die sich trotzdem noch rausschleppen konnten, wurden durch Gewehrschüsse und Handgranaten ermordet.
Der gesamte Vorgang mit den Verhörprotokollen, Geständnis der drei Hauptangeklagten und fertigen Klageschriften ist nachweislich der Kölner Oberstaatsanwaltschaft durch die britische Militärbehörde mit der Aufforderung zur Klageerhebung übergeben worden. Bis heute ist nichts geschehen. Warum ist mir klar, wurde doch die westdeutsche Justiz mit den völlig unbehelligt gebliebenen ehemaligen Nazirichtern aufgebaut. Sie wollten nicht gegen ihre Gesinnungs-genossen vorgehen.
Da hinein passt atmosphärisch die in den 60er Jahren von Konrad Adenauer in seinen Memoiren verbreitete Lüge, dass Hitler nur einmal in Köln war und wegen des geringen Zuspruchs nie wieder nach Köln zurück gekommen sei. Tatsächlich war Hitler acht Mal in Köln, vier Mal vor und vier Mal nach seiner Ernennung zum Reichskanzler. Jedesmal haben ihm mehr Kölner zugejubelt, zuletzt fast eine Viertel Million. Hitler selbst stellte in einem seiner Tischgespräche, die authentisch aufgezeichnet wurden, fest, dass ihm von allen Großstädten Köln die liebste sei, dort hätten ihm die Menschen mit der größten Begeisterung zugejubelt.
Das Verschweigen bzw. Beschönigen der NS-Zeit, die Nichtaufarbeitung der Geschichte ist ein Grund dafür, dass der auch in Köln weiterhin latent vorhandene und wieder aufkeimende Rechtsradikalismus sehr bald wieder öffentliche Aktionen wagte. Schon im September 1948 gab es die erste Schändung eines jüdischen Friedhofs in Köln, so auch im Oktober 1956. In den 60er, 70er Jahren und 80er Jahren wurden schon jeweils zweimal jüdischen Grabstätten in Köln entehrt. Als die im Herbst 1959 eingeweihte Synagoge in der Roonstraße in der Nacht vom 24. Auf den 25. Dezember des gleichen Jahres mit Hakenkreuzen und Naziparolen beschmiert wurde, ging ein kurzer Aufschrei durch die Bevölkerung, aber bald darauf war die Angelegenheit wieder vergessen. Dies führte nicht dazu, dass jetzt mit einer intensiven Aufarbeitung der NS-Zeit und der Beteiligung der Kölner Bevölkerung an dieser begonnen wurde.
Im Gegenteil: Diejenigen Einzelkämpfer, die sich für die Erforschung der NS-Zeit, für die Erinnerung an die in Köln und durch Kölner verübten Gräueltaten einsetzten, wurden diffamiert, zusammengeschlagen, mit Gerichtsverfahren überzogen oder als Psychopathen bezeichnet.
Stellvertretend für die wenigen, die trotzdem für die Aufklärung kämpften, möchte ich hier schildern, was dem Antifaschisten Sammy Maedge in den 60er und 70er Jahren widerfahren ist. Schon seit Anfang der 60er Jahre setzte Maedge sich dafür ein, dass die Folterkeller der Kölner Gestapo, die ihre Zentrale hier im EL-DE-Haus hatte, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, ihre Inschriften gerettet würden und das Rentenamt sich in einem anderen Gebäude ansiedeln sollte. Ehemalige Gestapohäftlinge hatten sich bei ihm darüber beklagt, dass sie in der früheren Gestapozentrale ihre Rentenangelegenheiten erledigen müssten.
Statt den Anliegen zu entsprechen, wurde Sammy Maedge von der politischen Polizei überwacht, gegen ihn wurden staatsanwaltliche Ermittlungen eingeleitet, weil er „durch sein Verhalten im Ausland der Bundesrepublik in erheblichem Maße“ schade, von Polizisten bedroht und körperlich mißhandelt. Ihm wurde sogar auferlegt, seine Verkehrstauglichkeit zur Führung eines Kraftfahrzeuges durch Gutachten nachzuweisen, weil seine öffentlichen Auftritte große Zweifel an seiner „Kraftfahrzeugtauglichkeit“ begründeten. Die Stadt Köln plante sogar, die Keller des EL-DE-Hauses weiß zu tünchen, um so die Inschriften der ehemaligen Gefolterten ein für allemal verschwinden zu lassen. Daraufhin ließen sich Kurt Holl und der Fotograf Gernot Huber im März 1979 heimlich im Keller einschließen, fotografierten die Inschriften – einen Teil hatte schon Sammy Maedge in den 60er Jahren dokumentiert – und machten die Fotos über das Kölner Volksblatt öffentlich. Diese Aktivitäten, die inzwischen gegründete Bürgerinitiative für ein NS-Dokumentationszentrum und die im Zuge des weltweit beachtete Kölner Prozesses gegen den Gestapochef Kurt Lischka entstehende Presseöffentlichkeit zwangen die Stadt Köln, im September 1979 einen Ratsbeschluß zu fassen:
– die Inschriften zu retten und die Zellen öffentlich zugänglich zu machen
– und ein NS-Dokumentationszentrum einzurichten.
Erst zwei Jahre später wurden die Keller für die Öffentlichkeit zugänglich, erst 1987 acht Jahre später konnte das NS-Dokumentationszentrum eröffnet werden. Hier musste erst die 1978 gegründete Bürgerinitiative den öffentlichen Druck auf die Stadt Köln so erhöhen, daß der Ratsbeschluß von 1979 endlich umgesetzt wurde.
Ansätze, sich mit der Geschichte der NS-Zeit zu befassen, bot 1963 die Ausstellung „Monumenta Judaica“, die sich mit 2000 Jahren jüdischer Geschichte am Rhein befasste. Darin war unter anderem auch die NS-Zeit behandelt worden.
Die erste Ausstellung in Köln, die sich allein mit der NS-Zeit befasste, wurde im Frühjahr 1974 gezeigt, „Widerstand und Verfolgung“ in Köln. Fast 30 Jahre nach Beendigung des Nationalsozialismus. Es wurden dabei jedoch fast ausschließlich die Schicksale der Opfer dokumentiert, die der Täter nicht. Die Verstrickung der Kölner Bürger, Unternehmer und Behörden wurde erst recht nicht aufgearbeitet. So ist es nicht verwunderlich, dass in den 80er Jahren schon drei Mal jüdische Friedhöfe geschändet wurden, in den 90er Jahren sogar sechs Mal.
Jetzt wurde die Stadt gezwungen, sich mit dem Nationalsozialismus zu befassen, insbesondere, nachdem die Republikaner bei der Kommunalwahl 1989 7,4 Prozent der Stimmen erhalten hatten. Erst ab den 80er Jahren kann in Köln von einer Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus gesprochen werden. Dies geschah aber nicht freiwillig, sondern musste erzwungen werden. Ich betone, von außen gezwungen, denn von selbst kamen die Offiziellen, die Geschichtswissenschaft, die Ratsfraktionen nicht auf die Idee.
Ein weiteres düsteres Kapitel ist die Auseinandersetzung mit dem Schicksal der ehemaligen Zwangsarbeiter in Köln und deren „Entschädigung“. Wobei mir das Wort „Entschädigung“ schwer über die Lippen geht; denn entschädigen kann man die erlittenen Qualen und die Ausbeutung dieser Menschen nicht. Man kann nur ein kleines Zeichen setzen.
Erst 1986 gab es ein erstes Erinnern an die Zwangsarbeiter in Köln. Dabei möchte ich ins Gedächtnis zurückrufen, dass in der Zeit von 1939 bis 1945 über 30.000 Zwangsarbeiter – aus ihrer Heimat Verschleppte, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge – in Kölner Betrieben und Dienststellen eingesetzt waren. Erst im Mai 1986 wurde – auf private Initiative der Falken und der VVN hin – eine Gedenktafel für die 1944 hingerichteten Edelweißpiraten und osteuropäische Zwangsarbeiter an der Körnerstraße in Ehrenfeld enthüllt. Ein Jahr später gab es eine erste Ausstellung zum Thema „Zwangsarbeit bei KHD“.
1988 konstituierte sich die „Projektgruppe Messelager“ im Verein EL-DE-Haus, sie bereitete das erste Symposion zum Thema „Zwangsarbeit in Köln“ vor, das im Mai 1989 im Rheinsaal der Kölner Messe, dem ehemaligen KZ-Schlafsaal, stattfand. Zur gleichen Zeit weilte auf Einladung der Projektgruppe die erste Gruppe ehemaliger Zwangsarbeiter, damals aus Polen, der Sowjetunion, Frankreich, Belgien und Holland, in Köln. Noch im gleichen Jahr folgte eine Gruppe Zwangsarbeiter aus Polen. Anfangs unterstützte die Stadt Köln diese private Initiative durch einen Zuschuß von 115.000 DM, der sukzessive auf 60.000 DM heruntergefahren wurde und nach dem Jahr 2001 ganz entfallen sollte.
Schon 1990 schlug die Projektgruppe im Verein EL-DE-Haus der Stadt Köln vor, einen Entschädigungsfonds für die Zwangsarbeiter zusammen mit Kölner Firmen einzurichten. Weder die Stadt noch die Kölner Industrie waren dazu bereit. Alle größeren Industriebetriebe wurden mit dieser Forderung angeschrieben, als einziges Unternehmen antwortete KHD und bot 20.000 DM an, wenn sich auch die anderen Unternehmen und die Stadt beteiligen würden. Verdrängen, verschweigen war weiter angesagt.
Ein unsägliches Beispiel dafür ist die Veranstaltung mit ehemaligen Zwangs-arbeitern von Ford im Jahre 1995, bei der über 500 Teilnehmer anwesend waren. Auf Druck des ehemaligen Oberstadtdirektors mussten die VHS und das NS-Dokumentationszentrum ihre Veranstalterschaft zurückziehen. Auch wurde weder im Kölner Stadt-Anzeiger noch in der Kölnischen Rundschau über diese Veranstaltung berichtet. Entsprechender Druck auf die Redakteure soll von ganz oben ausgeübt worden sein, munkelte man. Soweit reichte wohl der lange Arm von Ford, bis hin in die Führungsetagen der Stadtverwaltung und der Redaktionsräume.
Symptomatisch für den Umgang mit dem Thema Zwangsarbeit war auch der Kampf des Kölner Künstlers Joseph Höntgesberg und der Werkstatt für Ortsgeschichte Köln-Brück für eine Erinnerungsstätte an das ehemalige Zwangsarbeiterlager Bensberger Marktweg in Köln-Dellbrück. Immerhin waren dort von 1942 bis 1945 über 1000 verschleppte Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen interniert. Erst von allen Parteien blockiert, konnte diese Erinnerungsstätte nach dreijährigem Kampf doch noch 1994 eingeweiht werden, nun durch den damaligen Ober-bürgermeister Norbert Burger, der die Eröffnung als beispielhafte Tat der Stadt Köln zur Erinnerungskultur darstellte.
Ich möchte hier aus einem an mich gerichteten Brief des damaligen kulturpolitischen Sprechers der SPD-Ratsfraktion – Manfred Biciste – zitieren, der die Widerstände gegen diese Gedenkstätte formulierte:
„Wir sind… der Auffassung, dass die Zeit des Nationalsozialismus mit ihren Grausamkeiten tatsächlich nicht aus dem Bewußtsein verschwinden darf. Allerdings glauben wir nicht, mit einer Inflation von Gedenktafeln tatsächlich öffentliche Diskussionen, öffentliche Trauer, öffentliches Bewußtsein herstellen zu können…. Wir glauben deshalb, dass es richtig ist – wie beabsichtigt – dieses Personenkreises und seiner Opfer an ganz zentraler Stelle in Köln zu gedenken und der Trauer und Betroffenheit der Kölnerinnen und Kölner Ausstahlung zu geben.“
Dazu sollte dann eine Gedenktafel an der Kölner Messe ausreichen. Herrn Biciste sollte man die Forderung des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog um die Ohren schlagen, das Gedenken an den Holokaust und die Gräueltaten der Nazis so weit wie möglich zu regionalisieren, d.h. in die Städte, Orte und Vororte zu tragen.
Erst durch die Eröffnung des NS-Dokumentationszentrums war das Thema Zwangsarbeit auch als ständiger Punkt der Dauerausstellung präsent.
Aber die Entschädigungsfrage wurde erst im Zuge der öffentlichen Diskussion in den USA auch hier in Deutschland opportun. Übrigens die erste Klage eines ehemaligen Zwangsarbeiters in USA gegen eine internationale Firma, die im der NS-Zeit auch in Deutschland produzierte, war eine Klage gegen Ford 1997. Sie wurde mit initiiert und unterstützt durch den Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte hier in Köln.
Durch diese Klagen kam erst der Stein ins Rollen. Erst jetzt sahen sich deutscher Staat und Unternehmer gezwungen, die Initiative zu ergreifen und die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ zu gründen. Nicht das Schicksal der ehemaligen Zwangsarbeiter und die Schuld, die der deutsche Staat, die deutschen Unternehmer und auch viele deutsche Bürger auf sich geladen hatten, war die Ursache für die Stiftung, sondern nur die angestrebte Rechtssicherheit deutscher Unternehmer vor Schadensersatzforderungen.
Ich will hier nicht auf das entwürdigende Hick-Hack bezüglich der Opfergruppen eingehen. Auch will ich nicht das beschämende Verhalten der meisten deutschen Unternehmen schildern, die bis heute nicht der Stiftung beigetreten sind.
Fakt ist, dass erst durch diese öffentliche Diskussion auch hier in Köln das Thema Zwangsarbeit, das man im nächsten Jahr schon abhaken wollte, wieder in die Diskussion kam. Nur deshalb – nicht aus der moralischen Verantwortung heraus – kam auch hier in Köln der Ratsbeschluß zustande, 400.000 DM zur Verfügung zu stellen.
Er beinhaltet folgende drei Punkte:
1. Das städtische Besuchsprogramm wird weitergeführt und jährlich mit 200.000 DM unterstützt.
2. Die städtischen Unternehmen beteiligen sich am Stiftungsfonds, aber ausdrücklich nur als Zustiftung, damit die deutschen Unternehmen nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden.
3. Es werden Forschungsstellen beim NS-Dokumentationszentrum eingerichtet, um die Geschichte der Zwangsarbeit aufzuarbeiten.
Aber bei dem durchaus positiven Ansatz darf nicht in den Hintergrund treten, dass permanent in Köln rechtsradikale Anschläge und sonstige Aktivitäten stattfinden:
In den 90er Jahren wurden sechs Mal jüdische Friedhöfe geschändet, das letztemal noch am 23. Januar 1999. Im April 1999 gab es antisemitische Schmierereien in Lindenthal, im Juni 1999 die öffentliche Darstellung des Hitlergrußes am Neumarkt, im Oktober 1999 demonstrierte die NPD in Köln, im April 2000 erschienen im Kölner Stadt-Anzeiger und der Kölnischen Rundschau Todesanzeigen des vor neun Jahren verstorbenen Neonazis Michael Kühnen, im August 2000 gab es Nazischmierereien an einem Rodenkirchener Einkaufszentrum und im gleichen Monat wurden Hakenkreuze an das Montessori-Schulzentrum in Bickendorf geschmiert. Und aus aktuellem Anlaß möchte ich darüber informieren, daß Nazis für den 9. Dezember hier in Köln einen Aufmarsch planen. In einer hoffentlich machtvollen Gegendemonstration sollte denen gezeigt werden, daß wir einen solchen neofaschistischen Aufmarsch in Köln nicht dulden.
Es ist auch heute noch viel aufzuarbeiten, was zum einen unsere Geschichte von 1933 bis 1945 angeht, und zum anderen den Umgang mit Rechtsradikalismus in Köln heute.
Eine Gruppe, die dies in einer hervorragenden Weise angeht, soll heute geehrt werden, der Jugendclub Courage. Ich bitte nun Wofgang Niedecken um die Laudatio für den Jugendclub Courage.
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