Bilz-Preisverleihung am 9. Dezember 2009
Preisträger
Laudator
Laudatio von Abraham Lehrer
Laudatio zur Bilz-Preisverleihung am 9. Dezember 2009 von Abraham Lehrer
Sehr geehrte Damen und Herren,
Dem AK Lem- und Gedenken Jawne im Verein EL-DE-Haus Köln e.V. gratuliere ich recht herzlich. Er ist ein würdiger Preisträger und darf stolz sein, sich in eine Reihe zu stellen mit würdigen Vorgängern.
Die Geschichte der Jawne und die Erinnerung an sie wird Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts in Köln durch zwei Menschen bekannt gemacht; Irene und Dieter Corbach. Frau Corbach trifft auf Henry Gruen, der ihr von seinem Vater, dem letzten Kantor in der Synagogen-Gemeinde Ehrenfeld, erzählt. Sie erfährt von ihm, dass die Handelsschule in der Lützowstraße, die sie besucht hat, bis zur Shoa eine jüdische Grundschule war. Das Ehepaar Corbach beginnt die jüdische Geschichte Kölns vor 1933 zu recherchieren und stößt dabei auf die höhere Schule Jawne. Sie erreichen bereits in den ersten Jahren ihrer Spurensuche wesentliche Erfolge: Gedenksteine und -plaketten werden auf ihre Initiative hin inner- und außerhalb Kölns angebracht. 1990 erreichen sie einen ersten wesentlichen Höhepunkt. Im Rathaus zu Köln wird eine von Ihnen konzipierte Ausstellung über die Geschichte der Jawne und ihres letzten Direktors Dr. Erich Klibansky gezeigt. In vielen Schriften und Büchem dokumentieren sie ihre äußerst erfolgreichen Forschungsarbeiten. Aber auch bei der Zusammenführung von Jugendfreunden, die Deutschland verlassen konnten, oder Überlebenden der Shoa sind sie behilflich und entwickeln zu diesen Personen innige Freundschaften. Sie erreichen durch stetiges Engagement, dass der ehemalige Schulhof der Jawne in Klibansky Platz benannt wird und auf ihm ein Mahnmal, der Löwenbrunnen installiert wird. Erträgt die 1100 Namen der verschleppten und ermordeten jüdischen Kinder Kölns und wurde vom ehemaligen Jawne-Schüler Hermann Gurfinkel gestaltet.
Nach dem Tod von Ehemann Dieter führt Irene Corbach das Unternehmen Jawne weiter. Im Jahr 2003 findet die Ausstellung eine neue Heimat in diesen Räumen der Allianz und wid auf Vorschlag von Juden in Israel, den U.S.A, England und Deutschland mit dem „Obermayer German Jewish History Award” ausgezeichnet. Kurz vor ihrem Tod bittet Irene Corbach Tochter Almuth und Freundin Hannelore Göttling-Jakoby, eine ehemalige Jawne-Schülerin, das Lebenswerk der Corbachs weiter zu führen, damit die Erinnerung an die Jawne wach zu halten und sie an kommende Generationen weiter zu geben. Tochter Almuth versammelt Interessierte bzw. Gleichgesinnte und gemeinsam wird zu Ende des Jahres 2005 der AK Lern- und Gedenkort Jawne gegründet.
Wir verstehen nun allzu gut, welch wesentliche, ja besser fundamentale Rolle das Ehepaar Corbach für die Entstehung unseres Preisträgers hatte. Aber die Gründungsmütter und -väter haben nicht nur eine Form für ihr Anliegen gewählt, sondern mit der Namensgebung einen wunderbaren Gedanken festgeschrieben. Es handelt sich nicht nur um einen Gedenken, ein Mahnmal an die Shoa, sondern es soll ein Platz des Lernens sein, Lernen der eigenen Geschichte und vor allem Lernen aus der eigenen Geschichte. Diese beiden Ansätze zu verbinden und zu verschmelzen war von Anfang an das erklärte Ziel des neuen AK. Die ersten Mitglieder – zehn an der Zahl – machten und machen ehrenamtlich eine hervorragende und überzeugende Arbeit, so dass die Gruppe auf heute 15 Personen anwuchs, die sich allesamt aktiv an und in den Projekten der Arbeitsgruppe beteiligen.
Verehrte Anwesende, der Bilz Preis 2009 wird heute an einen Arbeitskreis verliehen. In meinen Augen eine ungewöhnliche Situation. Personen oder Organisationen sind in der Regel Träger von Auszeichnungen. Ein AK ist ein formloser Zusammenschluss von Menschen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen. Die Vereinigung hat diese Rechtsform, nämlich keine juristische Rechtsform für ihre Arbeit gewählt. Bei beiden großen christlichen Kirchen existieren Arbeitskreise oder Arbeitsgemeinschaften für den christlich -jüdischen Dialog. In diesen kommen Christen und Juden zusammen, um die Verständigung zwischen den Konfessionen zu erweitern und die Gemeinsamkeiten der Religionen hervorzuheben. Dies ist die Absicht der beteiligten Akteure. Sie könnten dies auch im Rahmen eines nicht eingetragenen Vereins machen. Aber diese Form war zu Beginn unseres AK als zu aufwendig oder nicht notwendig empfunden worden. Dies belegt, dass solche Formalien den Mitgliedern des AK zweitrangig waren. Erst später, als es für die weitere Arbeit wesentlich wurde, trat man dem Verein EL-DE-Haus bei.
Das Erinnern an die Jawne, an ihre traurige Funktion während der Shoa, jüdische Kinder und Jugendliche nicht nur aus dem Großraum Köln, sondern auch aus weiter entfernten Regionen zusammen zu ziehen und zu sammeln, sie für die Deportation vorzubereiten und der von den Nazis gewünschten Endlösung zu zuführen. Ich darf Ihnen, verehrte Anwesende, exemplarisch hierfür einen Teil des Schicksals meiner Schwiegermutter Inge Kahn, geb. Hein schildern. Sie kommt im September 1939 aus Cochem nach Köln, wohnt gemeinsam mit Waisenkindern, aber vor allem mit Kindern, deren Eltern bereits deportiert wurden, im Abraham Frank Haus auf der Aachenerstraße und besucht die Schule in der Löwengasse. Sie soll die 5. Klasse besuchen, muss jedoch einiges nachlernen, um den Stand der Klasse zu erreichen. Später kommt sie auch in die Lützowstraße oder in das Haus der Loge in der Cäcilienstraße. Sie kannte das selige Fräulein Therese Wallach und die selige Frau Fränkel, von den Kindern despektierlich der Gorilla genannt. Ihr Klassenlehrer war eine Zeit lang der Onkel von dem uns allen bekannten Ernst Simons. s.A.‚ der den Spitznamen Schimmela trug. Als einzige Schule existiert zum Schluss nur noch die Jawne in der St. Apern Straße, in der die noch lebenden Schüler etwa bis Pessach oder Ostern 1942 unterrichtet werden. Sie landet letztlich in Theresienstadt und erfährt das Wunder des Überlebens.
Solche und ähnliche Schicksale gab es reichlich. Der AK hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Geschichten von jungen jüdischen Menschen aus Köln darzustellen. Die Mitglieder haben diese Anforderung vorbildlich umgesetzt Die Dauerausstellung ist der beste Beweis hierfür. Die erste Dauerausstellung ist von Dieter Corbach gestaltet worden und hat ihre Besucher beeindruckt. Sie wurde zwischenzeitlich von den Aktiven des AK den heutigen Anforderungen angepasst bzw. neu gestaltet. Auch die wechselnden Ausstellungen zu unterschiedlichen Themen haben immer den Bezug zu Jawne und ihrer Geschichte. Es zeichnet die Arbeitsgruppe aus, dass sie den Besuchern nicht nur den Zeitraum zwischen 1933 und 1945 anbietet, sondern auch die Zeit vor 1933 präsentiert. Einen Eindruck von jüdischem Leben in Köln zu gewinnen kann und darf sich nicht nur an der Periode der NAZIs orientieren, sondern es muss auch die Blüte vorher offenbart werden. Wer die gute und die schlechte Ära kennt, kann die Geschichte des Nationalsozialismus erst richtig einordnen. Allen Gästen in diesen Räumen wird dies deutlich und bewusst. Dies ist vor allem bei den zahlreichen Schulklassen enorm wichtig, aber auch effizient. Schülern wird das Schicksal von Schülern vor Augen geführt. Dies ist beeindruckend und bleibt nachhaltig in den Köpfen der jungen Menschen erhalten.
Ein großes Mahnmal in Berlin, Gedenkplaketten an Häusern oder Stolpersteine auf unseren Bürgersteigen sind gute und sinnvolle Instrumente dem Vergessen entgegen zu wirken. Aber sie sind kein Vergleich zu dem Aufzeigen einzelner Schicksale von Menschen, die in meiner Stadt, in meinem Viertel oder meiner Nachbarschaft gewohnt haben. Die vom AK gewählte Form des Erinnerns ist ein wesentlicher Teil des Kampfes gegen das Vergessen und gegen den Gedanken „es ist genug”. Wenn wir wirklich erreichen wollen, dass die Maxime „Nie wieder” auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten Bestand hat, müssen wir nach geeigneten und wahrscheinlich neuen Methoden suchen. Der AK Lern- und Gedenkort Jawne wendet mit Sicherheit ein brauchbares Verfahren an.
Das BVG hat vor drei Wochen ein Urteil gefällt, dass im Hinblick auf die sogenannten Unbelehrbaren, aber auch auf die Verführungjunger Menschen durch die Rechte große Bedeutung hat. Es geht um die Aufmärsche am Todestag von Rudolf Heß in der Stadt Wunsiedel. Die ausgesprochenen Verbote wurden als rechtmäßig eingestuft. Es hat die Einschränkung der Meinungsfreiheit gestattet, der Toleranz werden in dieser Hinsicht engere Grenzen gesetzt. Für mich hat es unsere Staatsraison „Nie wieder” bestätigt und klar gemacht, dass die Geschichte Deutschlands auch heute eine hohe Bedeutung besitzt. Die Anhänger und Verherrlicher der Nazi-Zeit können nicht das Grundgesetz in Anspruch nehmen, um ihre Ziele zu verfolgen. Dies ist ein Meilenstein in der Rechtsprechung des BVG. Das Urteil wird uns allen helfen, sich den Braunen Machenschaften leichter entgegen zu stellen und sich effektiver zur Wehr zu setzen. Der AK macht dies mit seinen Mitteln bereits seit seiner Existenz.
Seit einigen Monaten muss der AK sich mit der völlig unnötigen Problematik eines neuen Mietvertrages für diese Räume auseinandersetzen, Gott sei Dank hat die Öffentlichkeit auf das Ansinnen der Allianz reagiert und eine breite Unterstützung für den Jawnekreis aufgebaut. Die Allianz ist ein Weltkonzern, ein „global player“, der es nicht nötig hat, diese hervorragende Arbeit aufs Spiel zu setzen. Daher hat die SGK sich mit einem Schreiben an die Allianz gewandt und eine Umkehr des Mietangebotes gefordert. Eine Antwort hierauf ist bereits angekündigt. Es ist mir völlig schleierhaft, was die Beweggründe der Allianz sind. Hängt der Erfolg bzw. Gewinn der Allianz von den Einnahmen aus diesem Mietobjekt ab? Kann aus der Weiterführung des alten Mietvertrages nicht so Nutzen gezogen werden, wie aus der Fußball-Arena in München? Die Allianz hat ihre Geschichte und Rolle im dritten Reich aufarbeiten lassen. Es existieren zahlreiche Schriften und Arbeiten von Historikern, die das Handeln und die Beteiligung des Unternehmens offenbaren. Die neue Allianz nach 1945 hat sich zu all dem bekannt, es der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und ist bereit die Verantwortung hierfür zu tragen, so wird immer wieder betont. Dies ist ein Bekenntnis der Allianz. Wo bleibt die Tat, die diesem Bekenntnis folgen muss? Ein direkter Bezug von der Allianz zur Jawne ist mir nicht bekannt. Aber dennoch passt dieses Handeln der Allianz nicht zu dem Bekenntnis. Fünf Jahre lang hat der Konzern kein Problem gesehen, die Miete alleine zu tragen. Nun wird die Beteiligung aller gesellschaftlich relevanten Gruppen eingefordert. Warum? Bisher habe ich immer angeführt, dass die Allianz zwischen 1933 und 1945 braune Flecken hatte, aber die neue Allianz sich ihrer Verantwortung bewusst ist. Die Mietübernahme kommt nicht einer einzelnen Person zu Gute, sondern der Bildungsarbeit in der Stadt Köln. Diese Tat hat die neue Haltung der Allianz dokumentiert. Es hat sie ausgezeichnet, dass sie eben nicht nur das große Mahnmal in Berlin oder eine vergleichbare Einrichtung unterstützt hat, sondern auch das kleine Museum für die Jawne in Köln. Ich appelliere an die Verantwortlichen der Allianz, ihr Angebot – ein weiteres Jahr Mietfreiheit – auf unbestimmte Zeit zu verlängern. Sie werden damit dieser Einrichtung, dieser Stadt und auch dem Allianz-Konzern einen großen Dienst erweisen. Publizität hat der AK Lern- und Gedenkort Jawne durch diese Geschichte bereits zur Genüge erhalten!
Anerkennung erfuhr unser Preisträger im Jahr 2008 durch den „Preis für ein ideenreiches und wirkungsvolles Beispiel zivilen Engagements” durch das „Bündnis für Demokratie und Toleranz“. In diesem Jahr verlieh die „Bundesvereinigung kulturelle Kinder- und Jugendbildung“ den „Preis für Kooperation zwischen Kultur und Schule“. Einem Entsprechen meiner Forderung nach Mietfreiheit würde ich als weiteren Preis für den AK Jawne verbuchen. Es wäre eine Anerkennung der Arbeit oder eine finanzielle Medaille – durch die Allianz verliehen!
Heute kommt eine weitere Ehrung hinzu. Von der Bilz-Stiftung. Meine Damen und Herren, ich kannte bis vor wenigen Wochen den Namen der Stiftung durch Presseberichte über Verleihungen aus den Vorjahren. Aber den Hintergrund und das Entstehen der Stiftung waren mir vollkommen unbekannt. Diese Geschichte allein hätte einen Preis verdient. Lassen sie mich bitte die Entstehung mit wenigen Sätzen skizzieren. Die Eltern von Fritz Bilz gehörten der Arbeiterbewegung an und Vater Bilz saß wegen zu offensichtlicher Unterstützung dieser mehrere Monate in Gestapohaft. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Kölner ÖTV. Nach dem Tod beider Elternteile erbt Fritz Bilz überraschend einen großen Geldbetrag, den seine Frau und er in eine Stiftung, die Bilz-Stiftung geben. Diese fördert die Völkerverständigung, Projekte gegen Diskriminierung und die Unterstützung von rassisch oder politisch Verfolgten. Sehr geehrte Frau Bilz und sehr geehrter Herr Bilz, diese ihre Einstellung hat meine Hochachtung. Die Preisträger, die sie erkoren haben, und die Projekte, die sie ermöglicht haben, sind „vom Feinsten”.
Zurück zu unserem heutigen Preisträger. Die Jawne-Gedenkstätte ist heute ein Treffpunkt für die wenigen überlebenden Jawne-Schülerinnen und Jawne-Schüler. Heute ist ihre Bedeutung für die Nachfahren der Verstorbenen zunehmend wichtig. Sie fungiert als Anlaufstation für diesen Personenkreis. Die Freundschaften, die Irene und Dieter Corbach zu den Überlebenden der Shoa weltweit aufgebaut und entwickelt haben, bestehen heute zwischen deren Nachkommen und den Mitgliedern des AK. Die Beziehungen reichen auf alle Kontinente. Auch diesen Teil des Engagements der AK-Mitglieder dürfen wir nicht außer Acht lassen. Für das Bild Deutschlands und Kölns im Ausland ist das Verhalten und Handeln des AK wichtig. Er ist ein vorbildlicher Botschafter und Werbeträger für unsere Stadt.
Mir ist bewusst, dass ich oft – vielleicht zu oft vom AK spreche. aber sich Menschen aus Fleisch und Blut dahinter befinden. Wir werden sie jetzt hier alle gemeinsam auftreten sehen, wenn sie den Preis der Bilz-Stiftung in Empfang nehmen werden.
Ich darf Frau und Herrn Bilz, sowie alle Mitglieder des AK Lern- und Gedenkort Jawne im Verein EL-DE-Haus Köln e.V. zur Verlesung der Verleihformel und zur Übergabe des Preises nach vorne bitten.
„Seit über vier Jahren setzt sich der AK Lern- und Gedenkort Jawne in Nachfolge des Ehepaares Corbach für die Erinnerung an das im Nationalsozialismus zerstörte jüdische Gymnasium JAWNE ein. Mit Hilfe der Dauerausstellung und wechselnder thematischer Angebote werden jungen Menschen die Vielfalt jüdischen Lebens vor der Shoa und das Schicksal jüdischer Kinder während der NS-Zeit vermittelt. Der Arbeitskreis leistet damit einen hervorragenden Beitrag gegen Rassismus und für Völkerverständigung.“
Begrüßungsrede von Fritz Bilz
Rede zur Bilz-Preisverleihung am 9. Dezember 2009 von Fritz Bilz
Sehr geehrter Herr Rabbiner Engelmayer
Sehr geehrter Herr Lehrer,
Sehr geehrte Damen und Herren,
besonders begrüßen möchte ich den ehemaligen Schüler der Jawne Henry Grün.
Heute wird zum zehnten Mal der Bilz-Preis in Höhe von 5.000 Euro verliehen. Der Vorstand der Bilz-Stiftung zeichnet jedes Jahr eine Initiative aus, die sich für Völkerverständigung, gegen Rassenhass und für Menschen einsetzt, die aus politischen rassistischen oder religiösen Gründen verfolgt werden.
Dem Vorstand gehören neben meiner Frau Brigitte und mir, der Direktor des NS-Dokumentationszentrums Dr. Werner Jung, der ehemaligen DGB-Vorsitzende in Köln Dr. Wolfgang Uellenberg van Dawen und mein Freund Willi Hanspach an. Dieses Jahr haben wir uns für den Arbeitskreis Lern- und Gedenkort Jawne im Verein EL-DE-Haus Köln entschieden.
Die Verleihung des Bilz-Preises an diesen Arbeitskreis soll eine Anerkennung für die bisher geleistete Arbeit, aber auch eine öffentliche Unterstützung im Kampf für eine dauerhafte Sicherung und Erhaltung der Gedenkstätte an diesem Ort und in den Räumen sein, die heute der Allianz gehören.
Dieser Versicherungskonzern hat zwar bisher dankenswerterweise für sechs Jahre diese Räume, an der Stelle, wo in der Zeit von 1919 bis 1942 das jüdische Gymnasium Jawne stand, dem Arbeitskreis mietfrei überlassen. Auch das nächste Jahr ist gesichert. Aber die Allianz ist dadurch nicht aus ihrer Verantwortung entlassen, daraus eine dauerhafte kostenfreie Nutzung werden zu lassen.
Eine Verantwortung, der sich die Allianz aufgrund ihrer Verstrickung in das NS System nicht einfach durch eine nur bis Ende 2010 befristete kostenlose Überlassung der Räume entledigen kann.
Wie weit die Allianz in der NS-Zeit von der Ausplünderung jüdischen Besitzes profitiert hat, möchte ich an drei Punkten aufzeigen:
Am Verhalten der Allianz nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938
An der Versicherung von Nazieinrichtungen
Am Verhalten der Allianz nach 1945 bzgl. der Versicherungspolicen von Juden
Schon vor der Machtübertragung an die Nationalsozialisten im Januar 1933 haben der Allianz-Generaldirektor Kurt Schmitt und das Vorstandsmitglied Eduard Hilgard Kontakte zu Göring und Hitler aufgenommen, um wirtschaftliche Vorteile gegenüber der Konkurrenz herauszuschlagen. Da war es nur hilfreich, dass die beiden Göring zu einem opulenten Geschäftsessen einluden und ihm bei der Begleichung privater Schulden halfen.
Besagter Kurt Schmitt wurde im Juni 1933 Reichswirtschaftsminister unter Reichskanzler Adolf Hitler und machte sein Vorstandsmitglied Hilgard zum Leiter der Reichsgruppe Versicherungen. Damit erhielt die Allianz, die 1933 schon größter deutscher Versicherungskonzern war, weitere Vorteile gegenüber der Konkurrenz.
Schmitt nahm 1933 die Ehrenmitgliedschaft in der SS an und „trug die ihn gut kleidende SS-Uniform offensichtlich mit Freude“.
Nach der Machtübernahme waren Schmitt und Hilgard aktive Förderer des Regimes und gaben damit für den Allianz-Konzern und damit für die ganze Versicherungsbranche die Linie vor. Dass er auch noch Reichswirtschaftsminister wurde, war das Signal an die gesamte Wirtschaft, dass man mit den Nazis zusammenarbeiten könne und werde.
Ab 1937 war die Allianz eindeutiger Profiteur der Arisierung. So erwarb der Konzern billig Grundstücke zur Errichtung eines monumentalen Konzerngebäudes in Berlin. Weiterhin profitierte die Allianz bei der Arisierung durch Aktienübernahme aus jüdischem Besitz zu deutlich unter Wert liegenden Abfindungen.
Der Pogrom vom 9. November 1938
Nach den Zerstörungen in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 wurde den Juden die Schuld an den Zerstörungen zugewiesen, weil sie durch die Ermordung des Legationsrates Rath in Paris die Ausschreitungen selbst grog fahrlässig provoziert hätten. Ihnen wurden ein Schadensersatz und Sühneleistung von einer Millarde Reichsmark auferlegt. Die Allianz hätte mindestens 20 Millionen Reichsmark als Schadensregulierung für die bei ihr versicherten jüdischen Gebäude zahlen müssen. Aber den Juden wurde per Verordnung das Recht auf Schadensersatz für ihr Eigentum aus dem selben Grund verwehrt. Die Allianz sowie die anderen Versicherungen sollten den Betrag stattdessen direkt an das Finanzministerium überweisen.
Dagegen wehrte sich Hilgard, Vorstandsmitglied der Allianz und Leiter der Reichsgruppe Versicherungen, mit folgender Begründung:
Das gesamte Judentum sei „durch die Verordnung vom 12. November 1938 … an dem Pariser Mord und damit an der Provokation des deutschen Volkes schuldig gesprochen worden. Wenn der Provokateur das provozierte Ereignis herbeiführt, muss er sich gefallen lassen, ebenso behandelt zu werden wie der Täter selbst. Es geht nicht an, den politisch verurteilten Juden versicherungsrechtlich als unschuldig zu behandeln. Infolge dessen ist den deutschen und staatenlosen Juden gegenüber der Einwand der vorsätzlichen, zumindest aber grob fahrlässigen Herbeiführung des „Versicherungsfalls“ gerechtfertigt. Damit entfallen alle Versicherungsansprüche.“
Hilgard schaffte es tatsächlich mit dieser Argumentation die Zahlung von 20 Millionen Reichsmark auf 1,3 Millionen zu reduzieren.
Die Allianz war somit zum Komplizen der Nazis in der Rechtfertigung des Pogroms geworden.
Versicherung von Nazieinrichtungen
Die Allianz wurde zu einem der wichtigsten Versicherer nationalsozialistischer Massenorganisationen wie dem NS-Lehrerbund.
Der nationalsozialistische Staat versicherte den Transport von Edelsteinen, Platin, Gold, Silber, Perlen und anderer Wertsachen, die aus jüdischem Besitz beschlagnahmt worden waren. Viele dieser Versicherungen landeten bei der Allianz.
Die Gebäude vieler Konzentrationslager, u.a. die von Auschwitz, waren bei der Allianz versichert. Hinzu kamen die Produktionsanlagen verschiedener Ghettos, u.a. die des Ghettos von Lodz und deren Erzeugnisse.
Das heißt im Klartext, die Allianz verdiente an den Ausbeutungs- und Tötungsanstalten der Nazis.
Verhalten der Allianz nach 1945 im Umgang mit dem Eigentum und den Versicherungspolicen von Juden
Eduard Hilgard, in der NS-Zeit Vorstandsmitglied der Allianz und Leiter der Reichsgruppe Versicherungen, war nach 1945 wieder im Vorstand der Allianz und somit mit der Schadensregulierung und den Wiedergutmachungsansprüchen der Juden befasst. Diese Kontinuität zeigte sich auch bei der Restitution bzw. Entschädigung für sog. „arisierte“ Gebäude und Grundstücke“. Sie nahm dabei folgende Position ein:
Die von der Allianz erworbenen jüdischen Immobilien seien nicht aus einer Zwangslage verkauft worden.
Die Allianz habe angemessene Preise gezahlt und keinerlei Profit aus der Not jüdischer Eigentümer gezogen.
Die erworbenen Gebäude seien heruntergewirtschaftet und deshalb billiger gewesen.
Sogar nach 1945 beharrte die Allianz auf ihrer schon 1938 bei dem Novemberpogrom vorgebrachten Argumentation, als es um die Versicherungsleistungen für zerstörtes Mobilar und anderen Besitz ging. Es habe sich bei dem Pogrom um den Ausbruch elementarer Volkswut gehandelt und deshalb sei die Allianz nicht leistungspflichtig. Den tatsächlichen Schaden, der damals auf 20 Millionen Reichsmark beziffert wurde und der an die Staatskasse abgeführt werden sollte, handelte die Allianz 1938 auf 1,3 Millionen Reichsmark herunter. Sie war noch nicht einmal bereit, den gesparten Differenzbetrag von 18,7 Millionen an die geschädigten Juden auszuzahlen. Das Schlimme dabei ist, dass das Bundesverfassungsgericht die Auffassung der Allianz im April 1952 bestätigte. Aber was soll man auch von den Richtern verlangen, die alle ihre Rechtsgeschäfte schon in der NS-Zeit praktiziert hatten. Die geschädigten Juden wurden aufgefordert, Anträge auf Wiedergutmachung zu stellen und den Staat in die Regulierungspflicht zu nehmen.
Besonders erniedrigend war der Umgang mit den Ansprüchen, die die Nachkommen ermordeter Juden aus den Lebensversicherungspolicen ableiteten.
Die Allianz und alle deutschen Versicherungen nahmen den Standpunkt ein, dass, da die Versicherungsnehmer nicht weiter eingezahlt hätten – Einschub von mir: weil sie ins KZ kamen oder überhastet flüchten mussten – dies eine Kündigung des Versicherungsvertrages bedeute. Damit seien alle Ansprüche entfallen. Weiterhin seien die meisten Lebensversicherungen wegen Nichtzahlung der Reichsjudensteuer an den Staat übertragen worden. Auch deshalb könne man die Versicherungen nicht wieder aufleben lassen. Das bedeutete, dass kein Anspruch mehr gegenüber den Versicherungen bestehe.
Wegen des staatlichen Eingriffs sollten sich die Nachkommen an den Staat wenden, d.h. ein Wiedergutmachungsverfahren einleiten. Per Gestz wurde der Wiedergutmachungsbetrag auf maximal 10.000 DM begrenzt.
Falls aber wider Erwarten doch noch Ansprüche bestünden – weil im Einvernehmen mit der Allianz der Versicherungsnehmer beitragsfrei gestellt wurde, wurden erhebliche Abzüge getätigt. So wurde die Reichsjuden- bzw. Reichsfluchtsteuer abgezogen, dann die nicht gezahlten Beiträge, dann eine Kriegsumlage (zumeist in Höhe von 3.000 Reichsmark) und der Rest wurde wegen der Währungsumstellung 1948 auf 10 zu 1 entwertet. So erhielten die Nachkommen bei Lebensversicherungssummen von bis zu 100.000 Reichsmark lächerlich geringe Auszahlungsbeträge von höchsten wenigen hundert Mark.
All dies geschah jedoch nur, wenn die Police oder ein entsprechender Schriftverkehr als Nachweis dienen konnte.
Wie sich die Allianz hier in Köln verhielt, schilderte der Jawne Schüler Yehuda Levi, der in Israel im Kibbuz Ma’abarot lebt und Anfang der 90er-Jahre Köln besuchte:
„Mein Bruder und meine Tante wussten sicher, dass meine Eltern bei der Allianz lebensversichert waren. Ich persönlich sprach in den 90er Jahren bei der Allianz am Hansaring bei einem gewissen Herrn Bünder vor, um die Unterlagen meiner Eltern ausfindig zu machen. Aber Herr Bünder sagte nur, dass viele Unterlagen verloren gegangen seien…“ Er könne mir da nicht weiterhelfen.
Dass wir dies heute alles wissen, liegt an einer Sammelklage, die 1997 gegen die Allianz im US-Staat New-York eingereicht wurde. Dadurch war die Allianz gezwungen worden, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die Erforschung der Rolle der Allianz in der NS-Zeit verdanken wir also den nicht ausgezahlten jüdischen Versicherungspolicen.
Im Jahre 2001 wurde das Ergebnis dieser Forschungen publiziert:
Gerald D. Feldmann: Die Allianz und die deutsche Versicherungswirtschaft 1933-1945.
Alle meine Informationen stammen aus dieser Forschungsarbeit.
Feldmann hat in seiner Untersuchung abschließend festgestell, dass „die Allianz und ihr Management in mehrfacher Hinsicht in die Untaten des NS-Regimes verwickelt waren. … Die Allianz wie die gesamte Versicherungswirtschaft versagte nicht nur bei der Verteidigung zivilisatorischer Werte, sondern sie war auch aktiv an ihrer Zerstörung beteiligt.“
Deshalb fordere ich hier und heute die Allianz öffentlich auf, diesen Gedenkort auf Dauer vertraglich und für die Betreiber kostenfrei als Gedenkort zu erhalten und sicherzustellen, dass auch in Zukunft diese Gedenkstätte durch jährliche Verhandlungen über Mietkosten nicht in Frage gestellt wird. Das lässt sich ganz einfach lösen, in dem ein unbefristeter Mietvertrag mit kostenfreier Nutzung abgeschlossen wird. Der Verein EL-DE-Haus ist dazu und nur dazu bereit.
Das ist die Allianz aufgrund ihrer Verstrickungen aber auch in Erinnerung an die Jawne den Überlebenden schuldig.
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